Pfarrer zum Kirchenneubau und der Lage der Christen in der Türkei

"Nur nicht allzu sehr auffallen"

Erstmals seit der Staatsgründung 1923 wird in der Türkei eine neue Kirche gebaut werden. "Ein positives Zeichen", sagt Gerhard Duncker, lange Jahre Pfarrer in Istanbul. Dennoch gelte für Christen in der Türkei weiter, sich bedeckt zu halten.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Überrascht Sie diese Nachricht, dass es jetzt einen Kirchenneubau in der Türkei geben soll?

Pfarrer Gerhard Duncker (Langjähriger Pfarrer der evangelischen deutschsprachigen Gemeinde in Istanbul): Es überrascht mich, dass sie sich nun alle untereinander verständigt haben. Aber so ganz überrascht hat es mich nicht, weil es ja die ganze Zeit schon spruchreif war und die Genehmigung schon vorlag.

DOMRADIO.DE: Die Genehmigung lag vor, aber letztendlich begonnen werden konnte noch nicht?

Duncker: Wenn ich richtig informiert bin, gehörte das Grundstück eigentlich der katholischen Kirche, war dann aber übergegangen in den Besitz des Staates. Der Staat hat es dann an die syrisch-orthodoxe Kirche weitergegeben. Es dauerte eine ganze Zeit, bis sich alle Beteiligten geeinigt haben, auch innerkirchlich. Erschwerend kam hinzu, dass auf dem Grundstück auch noch ein Friedhof war. Aber nun scheint es so, dass sich alle verständigt haben und anfangen können.

DOMRADIO.DE: In Istanbul gibt es wesentlich mehr syrisch-orthodoxe Christen als katholische. Heißt das, dass eine neue Kirche auch benötigt wird?

Duncker: Ja, so ist es. Die Zahl der Christen geht natürlich insgesamt zurück - und zwar stark zurück. Vor allem bei den Griechisch-Orthodoxen - die brauchen gar keine neuen Kirchen. Aber die syrisch-orthodoxe Kirche ist eine wachsende Kirche in Istanbul, weil viele syrisch-orthodoxe Christen aus dem Osten der Türkei nicht gleich nach Deutschland oder Europa gehen, sondern nach Istanbul. Deshalb wachsen die Gemeinden. Und die syrisch-orthodoxe Kirche hatte in Istanbul praktisch keine Kirchen, weil ihre Anhänger ja traditionell im Osten der Türkei lebten und nicht in Istanbul.

DOMRADIO.DE: Kann denn dieser Neubau der syrisch-orthodoxen Kirche auch bedeuten, dass sich die Situation auch für die anderen christlichen Kirchen entspannt?

Duncker: Es gibt ja die Lausanner Verträge von 1923, kurz vor der Republikgründung, in denen die Rechte der Minderheiten geregelt sind. Seitdem wurde keine Kirche mehr gebaut. Es gab zwar um das Jahr 2003 eine Genehmigung, dass wieder gebaut werden durfte. Es bestand aber gar kein Bedarf.

Hier ist nun eine Gemeinde, die bauen kann. Das hebt nicht alle Schwierigkeiten auf, die die Gemeinden haben. Aber ich finde, man muss jetzt auch das Positive benennen.

DOMRADIO.DE: Aber das heißt, mit dem Bau dieser neuen Kirche ist der Staat möglicherweise auch auf dem Weg zu einer weitreichenderen Religionsfreiheit?

Duncker: Ich kann das noch nicht erkennen. Die Christen haben intern, in ihren Kirchen, die Freiheit, das Wort Gottes zu verkündigen. Sie dürfen auch die Glocken läuten. Das wird oft nicht wahrgenommen, dass da auch Glocken läuten in Istanbul.

Für die syrisch-orthodoxe Kirche ist der Neubau eine große Hilfe. Sie hat zwar eine Kirche. Aber die ist in Beyoglu, und dort in einem Stadtviertel, wo alle Häuser abgerissen, beziehungsweise renoviert werden. Die ganze Bevölkerung, die dort war, ist weg. Da steht jetzt der Bischof ganz alleine und für die Gemeinde war es sehr schwierig, das alte Kirchengebäude zu erreichen.

Auf jeden Fall muss man sagen: Der Staat stellt sich nicht gegen den Neubau, sondern das Vorhaben geschieht mit staatlicher Zustimmung. In diesem Falle ist es wirklich etwas Positives.

DOMRADIO.DE: Gucken wir nochmal kurz auf die Situation der Christen in der Türkei im Alltag. Sie haben lange Jahre dort als evangelischer Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde gearbeitet. Ist die Situation der Christen dort von Angst oder von Entspannung geprägt?

Duncker: Es gilt das Motto: Nicht allzu sehr auffallen. Es gibt zum Beispiel auf der Istiklal Caddesi, also der Haupteinkaufsstraße mitten in Beyoglu, auch eine christliche Buchhandlung. Da können Sie Bibeln kaufen. Sie können sich aber nicht einfach mit Bibeln hinstellen und die verteilen.

Und natürlich ist es so: Die Christen in der Türkei heiraten keine Muslime und auch umgekehrt. Und auch in Führungspositionen, etwa beim Militär oder in der Justiz, gibt es selten Christen. Gerade sitzt mal wieder ein christlicher Abgeordneter im Parlament. Aber die Christen halten sich eher bedeckt und zurück - genauso wie die jüdischen Gemeinden.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Christen in der Türkei / © Sebastian Backhaus (epd)
Christen in der Türkei / © Sebastian Backhaus ( epd )
Quelle:
DR