Ähm, so geht das nicht! Lauter als nötig frage ich das Kind: "Kannst du überhaupt noch was sehen?" An seinen enttäuschten Augen sehe ich schon, dass nicht. Der Mann schaut starr vor sich hin, so als gäbe es uns gar nicht.
In solchen Momenten frage ich mich, was eigentlich wohl passiert, wenn es mal um etwas mehr geht, als nur darum, einem Kind die Sicht zu nehmen, damit man selbst besser schauen kann. Was wäre, brächen Feuer oder Panik aus? Trampelt der gleiche Mann dann über mein Kind weg? Damit er selber schneller in Sicherheit ist? Vorstellen kann ich mir das. Erlebt habe ich so ähnliche Dinge auch schon.
Doch genauso oft habe ich das Gegenteil beobachtet. Dass im Winter die Oberleitung vom Zug riss und wir alle zusammen einen Schienenersatzverkehr anleierten. Oder dass wir brüderlich die Butterbrote und Getränkevorräte teilten, als unser Zug in irgendeinem Bahnhof zwangsgeparkt wurde, bis das Sturmtief Kyrill über unseren Köpfen fertig gewütet hatte.
Wahrscheinlich ist es, wie immer ist. Wahrscheinlich wird es auf jeden einzelnen von uns ankommen, ob eine Situation glimpflich bis gut - oder ängstigend bis furchterregend ausgeht. Sicher ist nur: es wird umso eher gut ausgehen, je mehr Menschen früh genug einfällt, dass alles, was auch immer passieren mag, leichter gemeinsam zu bewältigen ist. Als jeder gegen jeden.
Nein, das hier wird keine Pfingstgeschichte, die erzählt, wie die Welt sich ändert, wenn sich Menschen wie Menschen benehmen, jedem das gleiche Recht zugestehen. Und nicht nur wohlfeil darüber sprechen. Deswegen würde ich jetzt lieber berichten, dass ich den rücksichtlos rempelnden Mann erst freundlich angelächelt und dann höflich aufgefordert habe, meinem Kind doch bitte nicht die Sicht zu nehmen. Stattdessen habe ich das Kind, mit gestrecktem Kinn und zusammengebissenen Zähnen, entschlossen nach vorne geschoben. Ich habe schlicht eine Gelegenheit zur Menschlichkeit verpasst, das reut mich jetzt.
Aber: Was diesmal nicht pfingstlich war, kann es aber beim nächsten Mal ja vielleicht werden.