Lockdown im Alten- und Pflegeheim

"Öffnung im Mai war wie ein kleines Ostern"

Schwester Theodolinde Mehltretter ist seit 2016 Haus- und Konventoberin im Münchner Alten- und Pflegeheim Sankt Michael. Vor ihrem 75. Geburtstag an diesem Samstag sprach sie darüber, wie die Pandemie sich auf das Leben im Haus auswirkt.

Mundschutz in einer Pflegeeinrichtung / © Frank Molter (dpa)
Mundschutz in einer Pflegeeinrichtung / © Frank Molter ( dpa )

KNA: Schwester Theodolinde, als Sie Haus- und Konventoberin in Sankt Michael wurden, hätten Sie da gedacht, dass Ihnen im Hinblick auf Corona noch einmal einiges abverlangt wird?

Schwester Theodolinde Mehltretter (Ehemalige Generaloberin der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul mit Sitz in München, seit 2016 Haus- und Konventoberin im Münchner Alten- und Pflegeheim Sankt Michael): An eine Pandemie hätte ich nie gedacht, und von einem Coronavirus hatte ich nie zuvor gehört. Allerdings kenne ich die heilige Corona, sogar eine Mitschwester trägt ihren Namen. Als ich die Aufgabe im November 2016 übernehmen durfte, ging mir ein Wort von Papst Franziskus nach, der sagte: Jetzt beginnen wir einen Weg. Ich habe hier gleichfalls meinen neuen Weg begonnen, um für ältere Mitschwestern da zu sein. Denn auch Ältere brauchen Mitmenschen, die noch ein wenig Lebenskraft haben.

KNA: Wie ging es Ihnen damit, als es im März 2020 auf einmal hieß, die Heime werden abgeriegelt?

Schwester Theodolinde: Da musste natürlich ein Umdenken stattfinden. Mein Gedanke war, wir müssen einen Weg gehen vom Hirn zum Herzen. Die Vorschriften dienten dazu, Schlimmeres zu verhindern. Mit den Führungskräften haben wir dann eine Strategie entwickelt, wie wir aus dieser wirklich ernsten Situation das Beste machen können. Durch die tägliche Information an alle im Haus konnte eine große Unsicherheit gemindert werden.

KNA: Was bedeutete die Lage für das spirituelle Leben der Schwestern?

Schwester Theodolinde: Die Maßnahmen waren schon sehr einschneidend. Gemeinsames Beten und Singen fiel plötzlich aus, Gottesdienste wurden nicht mehr gefeiert, weil kein Geistlicher kommen konnte. Eine Mitschwester und ich haben unsere Stundengebete vorbereitet, in der Hauskapelle gebetet und über den Haussender übertragen lassen. Den Mitschwestern haben wir einen Fernseher ins Zimmer gestellt, so konnten sie Radio- und TV-Gottesdienste mitverfolgen. Die Kamera unseres hauseigenen Fernsehkanals war stets auf Altar und Tabernakel gerichtet, so dass eine Anbetung möglich war.

KNA: Haben Sie sich als Frauenorden mit ihren täglichen Gebeten noch einmal neu entdeckt?

Schwester Theodolinde: Oft ging uns durch den Kopf: Das haben wir schon so oft gebetet, aber jetzt erleben wir eine völlig neue Sicht darauf. Das hat uns Schwestern geholfen, spirituell nicht zu verarmen. Ich habe auch im Internet nach neuen Gebeten gesucht und, als ich nachts einmal nicht schlafen konnte, auch selbst eines geschrieben.

KNA: Das gemeinsame Beisammensein ...

Schwester Theodolinde: ... fehlte und machte ein wenig traurig, auch beim Essen. Wir wurden auf dem Zimmer versorgt von unseren Mitarbeitern, für die das eine sehr große Herausforderung darstellte. Meine Mitschwestern versuchten das Beste aus der Lage zu machen und begannen etwa zu stöbern, das heißt das Inventar der Zimmer zu kontrollieren.

KNA: War Telefonieren eine Hilfe?

Schwester Theodolinde: Ich durfte die erste Zeit noch für die Schwestern da sein - immer in Absprache mit der Heimleitung. Mit den älteren Menschen ist das nicht so einfach. Wir sind auf Nähe angelegt, und jetzt sollten wir Abstand halten. Dann hören viele schwer. Da muss man näher rangehen oder von der Ferne schreien. Auch viele Anrufe von draußen erreichten mich. Das Wort "Bleibt's gsund" hat am Ende eines Telefonats oder einer E-Mail nie gefehlt. Gut auch, dass jedes Zimmer einen Balkon hat, so konnten wir bei Sonnenschein wenigstens die blühenden Blumen im Garten sehen.

KNA: Wie war es, als sich im Mai die Tore öffneten?

Schwester Theodolinde: Das war wie ein kleines Ostern. Wir haben sofort überlegt, unter welchen Bedingungen gemeinsames Essen und Gottesdienste wieder möglich sein können. Aber das braucht Zeit und muss gut organisiert sein. Für die Hauskapelle wurde ein Hygienekonzept entwickelt. Die neun Wochen Quarantäne waren nicht leicht. Wir waren unseren 160 Mitarbeitern sehr dankbar für ihre Versorgung und haben das immer wieder mit Aushängen zum Ausdruck gebracht.

KNA: Was haben Sie dazugelernt?

Schwester Theodolinde: Auf jeden Fall wurde einem bewusst, dass mehr Abstand halten trotzdem ein Zusammenrücken bringt, das die Geschwisterlichkeit nicht beeinträchtigt. Ich bin dankbar dafür, dass wir es geschafft haben, bei allen schlechten Nachrichten positiv nach vorne zu blicken. Man reift an der Aufgabe und der tiefen Glaubenserfahrung. Es wird einem bewusst, dass wir Menschen nicht alles machen können. Mehr Menschlichkeit, mehr Dankbarkeit, mehr Respekt, mehr Wertschätzung - sollten wieder gelten.

KNA: Ihr Heim ist bisher gut durchgekommen.

Schwester Theodolinde: Zwei Schwestern und zwei Heimbewohner sind an Corona erkrankt und alle wieder genesen. Wir haben für diese Fälle eigens eine Isolierstation eingerichtet und waren streng mit den Auflagen.

KNA: Geburtstage sind Ihnen nicht wichtig. Aber wenn Sie nun 75 im Februar werden, haben Sie nicht doch einen Wunsch?

Schwester Theodolinde: Dass wir gesund bleiben und ein gutes Miteinander haben, dass der Glaube wie eine Tank-, aber auch Dankstelle ist. Als Autofahrer weiß man, dass man den Tank nie ausgehen lassen darf. Die Pandemie ist ein Rüttler, dass uns bewusst wird, wir müssen uns von Gott wieder den Tank mit seiner Gnade füllen lassen.

Das Interview führte Barbara Just.


Quelle:
KNA