Zehntausende Teilnehmer beim ersten digitalen Kirchentag

"ÖKT kann Vorbild sein"

100 statt 2.000 Veranstaltungen und corona-bedingt weitgehend digital: Der Ökumenische Kirchentag war auch im Internet ein diskussionsfreudiges und themenvielfältiges Kirchentreffen. Am Sonntag endete er mit einem Open-Air-Gottesdienst.

Autor/in:
Volker Hasenauer
Abschlussgottesdienst beim ÖKT / © Harald Oppitz (KNA)
Abschlussgottesdienst beim ÖKT / © Harald Oppitz ( KNA )

"Vielleicht haben wir im Internet sogar mehr Menschen erreicht als es bei einem klassischen Kirchentag vor Ort möglich gewesen wäre. Ich bin überrascht, wie viel Begegnung und Austausch auch im Digitalen möglich war." Die evangelische Präsidentin des Ökumenischen Kirchentags (ÖKT), Bettina Limperg, zog eine rundum positive Bilanz des Digital-Experiments Ökumenischer Kirchentag 2021. Und machte zugleich keinen Hehl daraus, dass Kirchentage eigentlich zwingend von Dialog und Präsenz vor Ort leben.

Wegen der Corona-Pandemie konnte es aber keine Großveranstaltung mit Tausenden Christinnen und Christen in Frankfurt geben. Stattdessen stand eine vollständige Absage im Raum. Dann aber fiel die Entscheidung, die Teilnehmer über das Internet zu vernetzen, das Programm von 2.000 auf 100 Veranstaltungen zu konzentrieren, und alles über das Internet und Video-Plattformen zu organisieren. In Frankfurt selbst war deshalb am Wochenende nur wenig von Kirchentagsstimmung zu spüren: wenige Fahnen und Plakate sowie am ehesten noch beim Schlussgottesdienst mit immerhin 400 Teilnehmern.

Vier Gottesdienste

Den emotionalen Höhepunkt bildeten am Samstagabend vier Gottesdienste, die evangelische, orthodoxe, katholische und freikirchliche Gemeinden gestalteten. Dabei war es der Gewissensentscheidung überlassen, an der Mahlfeier der jeweils anderen Konfession teilzunehmen.

Der katholische ÖKT-Präsident Thomas Sternberg bezeichnete diese Gottesdienste als bewegende Feiern. "Hier ist der ehrliche Stand einer großen Entwicklung sichtbar geworden, die deutlich über das hinausging, was wir uns noch vor wenigen Jahren vorstellen konnten." Und jetzt müssten die "Gemeinden für ihre gelebte Praxis des Miteinanders endlich auch offiziellere Formen finden", forderte Sternberg. Der ÖKT könne hier Vorbild sein.

Entschuldigung von Johannes zu Eltz

Der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz nutzte den ÖKT für eine bemerkenswerte Geste. Er bat zu Beginn der Messe im Kaiserdom evangelische Christen um Entschuldigung, weil sie vielfach unter dem Hochmut und den Abgrenzungsbemühungen von katholischer Seite zu kämpfen hätten. "Ich bitte dafür um Verzeihung und danke für den Langmut."

Großen Zuspruch fanden die Bibelarbeiten - auch diese wanderten von den Kirchentagsbühnen ins Netz. Was immerhin manche Einblicke in die Wohnzimmer - und auf die Bücherregale - der Bibelinterpreten ermöglichte. Die Bibel-Anmerkungen waren mal klassisch-routiniert, so bei Winfried Kretschmann und Margot Käßmann, mal innovativ-originell, so Nora Gomringers Inszenierung der Arche-Noah-Erzählung als Breaking-News.

Inhalte auch nach dem Kirchentag abrufbar

Dank Digital-Format werden die Bibelarbeiten genauso wie viele Diskussionsrunden, Vorträge und Gottesdienste auch nach Ende des Kirchentags über die ÖKT-Internetseite abrufbar bleiben.

Zum persönlichen Austausch boten die Veranstalter das neue Format digitaler Stehtische an. Diese zufällig zusammengesetzten Gesprächsräume wurden unterschiedlich stark genutzt. Auffällig war, dass dort, wo über die Zukunft der Kirche diskutiert wird, häufig kaum junge Menschen mitredeten.

Merkel, Laschet und Baerbock beim ÖKT 

Politisch war der Kirchentag sehr prominent besetzt: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) diskutierte mit Fridays for Future-Sprecherin Luisa Neubauer über Klimapolitik und Generationengerechtigkeit. Die Kanzleramtsaspiranten Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) setzten eigene Akzente. Seltene öffentliche Einblicke in die sicherheitspolitischen Strategien gegenüber Russland und China gab Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Viele Teilnehmer nutzten die Möglichkeit, Fragen an die Diskutanten zu schicken. Dies führte vielfach zu engagierten Debatten.

Klare Haltung bezog der ÖKT gegen Antisemitismus und anti-israelische Demonstrationen. "Erschüttert haben mich die antisemitischen Ausschreitungen in mehreren Städten Deutschlands, zeitgleich zum Ökumenischen Kirchentag. Wir haben die Angriffe scharf verurteilt. Und wir sind uns einig: Es ist eine ökumenische Aufgabe, unsere jüdischen Geschwister im Kampf gegen den Antisemitismus zu unterstützen", so Sternberg.

Diskussion über Missbrauchsbetroffene

Auch die schwierige Aufarbeitung von Missbrauch und sexualisierter Gewalt im Raum der Kirchen wurde diskutiert. Einzelne Missbrauchsbetroffene kritisierten hier, zu wenig Raum und Sprechzeit erhalten zu haben.

In ihrer gemeinsamen Predigt beim Abschlussgottesdienst riefen die methodistische Pastorin Mareike Bloedt und die Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, Katharina Ganz, dazu auf, "Überlebende von sexualisierter Gewalt" in die Mitte der Kirchen zu holen.

Taize-Leiter Frere Alois: "Missbrauch hat viel Vertrauen zerstört"

Und Bloedt forderte mehr Solidarität zwischen Alten und Jungen: "Die Jugend war in dieser Krise solidarisch mit den Alten. Die Klimakrise bietet eine Chance für die Alten, sich mit der Jugend solidarisch zu zeigen." Es lohne, für eine Welt zu kämpfen, "wo Gewinnmaximierung und Effizienz weniger zählen als soziale Werte und Solidarität".

In Erinnerung dürfte auch das eindringliche Plädoyer des Taize-Leiters Frere Alois bleiben. Er forderte beim Eröffnungsgottesdienst über den Dächern Frankfurts einen neuen Aufbruch. Dies gelte für Gesellschaft und Kirchen. "Missbrauch hat viel Vertrauen zerstört. Heilen ist nur möglich, wenn wir zugeben, was geschehen ist." Strukturveränderungen seien unerlässlich.

Veranstalter sind zufrieden

Mit Blick auf die Ökumene warb Frere Alois für eine geistliche Erneuerung: "Auf keinen Fall dürfen wir uns mit dem Skandal unserer Spaltungen abfinden! Unsere Kirchen können noch nicht alle Glaubensschätze miteinander teilen. Aber Christus ist nicht geteilt. Er ist unsere Einheit."

Auch wenn es zwangsläufig oft bei Appellen bleiben musste: Die Veranstalter zeigten sich überzeugt: "Die Resonanz war sehr hoch. Sehr viele Christinnen und Christen haben sich beteiligt, wir sind wahrgenommen worden. Und es ist uns gelungen, ein starkes ökumenisches Signal auszusenden."

Blick auf den Katholikentag in Stuttgart

Beim mit 400 Teilnehmern größten ÖKT-Gottesdienst unter freiem Himmel rief Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Abschluss zu gesellschaftlicher Versöhnung nach der Corona-Krise auf. "Wir müssen wieder Brücken bauen zwischen Menschen und Gruppen, die die Pandemie verfeindet hat." Christen trügen dafür eine besondere Verantwortung.

Die nächsten Gelegenheiten bei Großtreffen darüber zu diskutieren, werden 2022 der Katholikentag in Stuttgart und 2023 der Evangelische Kirchentag in Nürnberg bieten.


Quelle:
KNA
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