domradio.de: Papst Franziskus gemeinsam mit dem griechisch-orthodoxen ökumenischen Patriarchen Bartholomeos I. und dem orthodoxen Erzbischof Hieronymus II. auf Lesbos, das Treffen von Franziskus mit Patriarch Kyrill I. in Kuba, der Gottesdienst in einer evangelischen Kirche in Rom. Im Moment bewegt sich viel in der Ökumene.
Kurt Kardinal Koch (Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen): Das kann man sagen, weil Papst Franziskus die unmittelbaren Begegnungen mit den Geschwistern anderer christlicher Kirchen sehr am Herzen liegen und er diese Beziehungen vertiefen möchte. Natürlich immer auch im Blick auf die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft. Zum Beispiel in Kuba, wo es vor allem um die Verfolgung der Christen ging. Beim Besuch auf Lesbos stand die Frage der Flüchtlinge im Vordergrund, um ein ökumenisches Zeichen zu setzen.
domradio.de: Hat das den Besuch auf Lesbos einfacher gemacht? Es war der zweite Papstbesuch in Griechenland überhaupt. Der erste, 2001 von Johannes Paul II., war mit viel größerem diplomatischen Aufwand verbunden. Jetzt hatte sich der Besuch sehr kurzfristig ergeben.
Koch: Das hängt mit den tieferen Beziehungen zusammen, die seit dem ersten Besuch von Johannes Paul II. entstanden sind. Natürlich spielt auch die ungeheure ökumenische Offenheit des Patriarchen eine Rolle. Griechenland ist ein mehrheitlich orthodoxes Land. Dass der Papst mit seinen orthodoxen Brüdern gereist ist, ist ein wunderschönes ökumenisches Zeichen.
domradio.de: Was wird das für die Zukunft der katholisch-orthodoxen Beziehungen bedeuten?
Koch: Es ist ein weiteres, schönes Zeichen, das die Beziehungen vertieft. Wir unterscheiden zwischen dem Ökumenismus der Liebe und dem Ökumenismus der Wahrheit. Wahrheit bezieht sich auf den theologischen Dialog, Liebe bezieht sich auf die freundschaftlichen und geschwisterlichen Beziehungen. Die sind das Fundament, um den theologischen Dialog wirklich gut führen zu können. Wenn diese Beziehungen vertieft werden, ist das von großem Vorteil für die Zukunft.
domradio.de: Kürzlich sagten Sie dazu in einem Interview: Früher hieß es, der Glaube teilt, das Handeln eint. Heute sei es umgekehrt.
Koch: Das hängt damit zusammen, dass in der ökumenischen Begegnung heute Fragen vor allem ethischer Natur aufkommen, die Spannungen provozieren. Nicht nur zwischen den Kirchen, sondern auch innerhalb der einzelnen Kirchen. Ich denke da an die großen Zerreißproben in der anglikanischen Kirche. Das sind vor allem Fragen, die Ehe, Familie und Sexualität unter dem Vorzeichen der Gender-Lehre betreffen. Auf der anderen Seite sind es auch bio-ethische Fragen am Beginn und am Ende des menschlichen Lebens. Dort ist der bisherige Konsens ein bisschen brüchig geworden. Da scheint es mir sehr wichtig, dass man auch über diese ethischen Differenzen spricht. Denn wenn die christlichen Kirchen in Europa vor allem zu den grundlegenden Fragen des menschlichen Lebens und Zusammenlebens nicht mit einer Stimme sprechen können, wird die christliche Stimme immer schwächer.
domradio.de: Wenn es um die innerkonfessionellen Streitigkeiten geht, welche Rolle spielt da das für Juni angesetzte erste panorthodoxe Konzil seit 1000 Jahren?
Koch: Das ist eine ganz große Chance, dass die orthodoxen Kirchen zusammenkommen und gemeinsam beratend den Weg in die Zukunft gehen wollen. Ich hoffe, dass das ein guter Schritt sein wird, nach so langer Zeit sich wieder einmal zu treffen. Welche Ergebnisse dabei herauskommen, das kann man heute noch nicht sagen. Aber alleine das Faktum, dass man zusammenkommt und gemeinsam berät, halte ich für ein ganz großes Zeichen. Die orthodoxe Kirche versteht sich ja als eine synodale Kirche, deswegen ist es gut, wenn sie diese Synodalität auch zeigt. Es ist wichtig, dass vom panorthodoxen Konzil ein klares Wort zum Fortgang der Ökumene ausgeht. Da gibt es noch einige kakophonische Stimmen. Wenn ich beispielsweise die neueste Erklärung der orthodoxen Kirche in Bulgarien sehe, die sehr zurückhaltend ist gegenüber der Ökumene, hoffe ich doch, dass da ein deutliches Zeichen eines positiven Weitergehens in der Ökumene gesendet wird.
domradio.de: Was wird das für die katholische Kirche bedeuten?
Koch: Wenn die orthodoxen Kirchen unter sich zu mehr Einheit finden, wird das den Dialog mit unserer katholischen Kirche erleichtern. Mit Partnern, die sich untereinander nicht ganz einig sind in Fragen, die unseren Dialog betreffen, ist natürlich dann auch der Dialog schwieriger.
domradio.de: Im kommenden Jahr steht das Reformationsgedenken an, das Lutherjahr 2017. Bei dem Thema gibt es viele Spannungen. An der Eröffnung des Gedenkjahres im schwedischen Lund wird Papst Franziskus teilnehmen. Wie ist das aus ökumenischen Gesichtspunkten einzuschätzen?
Koch: Wir haben gemeinsam mit dem Lutherischen Weltbund ein Dokument erarbeitet: "Vom Konflikt zur Kommunion". Das zeigt, wie man das Reformationsgedenken gemeinsam begehen kann. In diesem Dokument stehen drei Punkte. Erstens: Dankbarkeit. Wir begehen ja nicht nur 500 Jahre Reformation, sondern auch 50 Jahre intensiven ökumenischen Dialog zwischen Katholiken und Lutheranern. In dieser Zeit haben wir vieles entdeckt, das uns gemeinsam ist. Dafür sollten wir dankbar sein.
Das zweite Stichwort heißt Hoffnung. Hoffnung, dass ein gemeinsames Reformationsgedenken neue Hoffnung schenkt auf dem Weg zur sichtbaren Einheit zwischen Lutheranern und Katholiken.
Und das dritte Stichwort heißt Buße. Wir gedenken nicht nur der Reformation, sondern auch der darauf folgenden Kirchenspaltung, die die schrecklichen Konfessionskriege im 16. und 17. Jahrhundert mit sich gebracht hat. Vor allem der Dreißigjährige Krieg, der Europa in ein Blutbad verwandelt hat. Über diese große Schuld, die wir gegenseitig auf uns geladen haben, können wir nicht einfach hinwegsehen. Dafür müssen wir Buße tun und Schuld bekennen. In diesem Dreiklang von Buße, Hoffnung und Dankbarkeit, glaube ich, kann ein gemeinsames Reformationsgedenken geschehen.
domradio.de: Die Protestanten in Deutschland wünschen sich ja eigentlich, dass Papst Franziskus das Geburtsland der Reformation besucht, was er voraussichtlich nicht tun wird. Steht dahinter ein politisches Zeichen?
Koch: Es war die Entscheidung und der Wunsch der Lutheraner, nach Lund und nicht nach Deutschland zu gehen. Deutschland ist eines der Reformationsländer, aber es gibt auch noch andere. Die Lutheraner sagen, das Reformationsgedenken sei heute ein universales Geschehen. Deshalb haben sie Lund gewählt als Geburtsort des Lutherischen Weltbundes. Und der Papst hat zugesagt, dorthin zu gehen und gemeinsam dessen zu gedenken. Es war für mich ein schönes Zeichen, dass die Lutheraner von Anfang an gesagt haben: Nicht die Lutheraner laden die Katholiken ein, sondern Lutheraner und Katholiken laden gemeinsam die anderen ein. Das ist ein sehr positives Zeichen. Wir haben diesem Wunsch der Lutheraner entsprochen, nach Lund zu gehen. Und ich bin sehr froh und dankbar, dass der Heilige Vater seine Teilnahme zugesagt hat.
domradio.de: Was erhoffen Sie sich für die Zukunft der Ökumene?
Koch: Es ist schwierig, das vorherzusagen. Die Ökumene ist das Werk des Heiligen Geistes. Er hat das angetrieben, und er wird es auch weiter führen. Wir müssen einfach für die Überraschungen offen sein, die der Heilige Geist uns schenken wird. Ökumene kann man in dem Sinne nicht einfach "machen". Man kann alles dafür tun, damit mehr Einheit geschieht, aber ob diese Einheit dann wirklich kommt, das liegt nicht mehr in unseren Händen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch für Radio Vatikan und domradio.de.