Das zuende gehende Jahr 2018 mahne auf Schritt und Tritt, an die Katastrophen des letzten Jahrhunderts zu erinnern und alles dafür zu tun, sie nicht zu wiederholen. Das sagte Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki am Samstag zum Auftakt des neuen Kirchenjahres in der Kölner Innenstadtkirche St. Aposteln, wo traditionell diese ökumenische Begegnung der beiden Kirchenvertreter stattfindet. Mit einem Blick zurück auf die Dom-Illumination unter dem Motto "Dona nobis pacem" im September vergegenwärtigte er noch einmal mit Nachdruck, dass diese Bitte um Frieden gleichzeitig mit einem Appell an jeden Einzelnen verbunden sei, nichts unversucht zu lassen, um aufeinander zu zu gehen und Gewalt und Krieg zu verhindern.
"Für uns Christen bedeutet der Umgang mit Macht und Gewalt immer eine Gewissensentscheidung", sagte Woelki wörtlich. "Letztlich gilt es, unser gesamtes Handeln ‚auf den Weg des Friedens’ zu lenken und diesem Weg alle kleineren Schritte unterzuordnen. Das ist im alltäglichen Miteinander nicht einfach – im globalen Zueinander von Staaten, Nationalitäten, Völkern und Religionen schon gar nicht." Doch mitten in alle Interessenskonflikte schenke Gott seine barmherzige Liebe, damit nicht diese Konflikte zu Wegweisern würden, sondern seine unbedingte Liebe, die auch in das tiefste Dunkel von Gewalt, Streit und Ungerechtigkeit ein Licht strahlen lasse.
Der beginnende Advent diene als Vorbereitung auf die Ankunft dieses Lichtes, das sehnsuchtsvoll von Christen in aller Welt erwartet werde. Der Kardinal betonte: „Nur so können wir wirklich sehen, welchen Weg unsere Füße einschlagen und welchen Weg unsere Schritte zu gehen haben." Dann aber könnten es Schritte des Friedens werden; eines Friedens, den Gott dem schenke, der sich für seine Weisungen, sein Licht und seine Liebe öffne: für Jesus Christus.
Der Mahnung, sich der Brüchigkeit von Frieden – im Kleinen wie im Großen – bewusst zu sein und hier aktiv dagegen zu halten, schloss sich auch Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, an. Advent bedeute, die Welt so zu sehen, wie sie ist, erklärte er in seiner Predigt. Aber zugleich eben auch noch sehr viel mehr zu sehen – wie Zacharias, aus dessen Lobgesang er die Bitte zitierte: "…und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens." Zacharias sehe den kommenden Gott, er sehe Gott eingreifen und er sehe Gottes neue Welt, eine Welt des Friedens kommen, sagte Rekowski. Und er bitte Gott um den Hinweis, "auf welcher Seite wir zu stehen haben, wo und wie wir dem Frieden dienen". Dennoch benannte der protestantische Kirchenvertreter auch realistisch, wo eine solche Welt immer wieder durch Unfrieden gefährdet ist: nämlich in den Familien, in der Gesellschaft, in der Welt – und auch in den Kirchen. Selbst wenn die Familie dazu da sein sollte, einander anzunehmen und gerade hier – nach ausgetragenem Konflikt – Versöhnung einzuüben, würde sie manchmal geradezu zu einem Schlachtfeld, zum Trümmerhaufen von zerrütteten Beziehungen und bisweilen auch zu einem Ort von Gewalt, wo Kinder ohne ausreichende Unterstützung aufwachsen würden.
Auch der gesellschaftliche Unfriede manifestiere sich mitunter bei den Kindern, die oft genug vergeblich nach Nähe sowie Begleitung suchten und verarmten. "Wenn diese Kinder auf der Strecke bleiben und kaum eine Zukunftschance haben, dann ist kein Friede in unserer Gesellschaft", unterstrich der Präses. Oder wenn alte Menschen sich abgehängt fühlten, wenn die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklaffe. Wenn die Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land differierten oder sich Hass auf Minderheiten Bahn breche.
Ebenso schonungslos prangerte Rekowski die friedlosen Zustände in Ländern wie Somalia, dem Südsudan, Afghanistan, dem Irak, Libyen, der Zentralafrikanischen Republik oder Syrien an, für die das Auswärtige Amt Reisewarnungen ausgebe. Besonders eindringlich schilderte er die humanitäre Katastrophe im Jemen, die menschengemacht sei, wie er betonte, weil dort seit Jahren ein Bürgerkrieg wüte, die Menschen verhungerten und sich Millionen auf der Flucht befänden. Die tödlichen Folgen von politischem Machtpoker und mangelndem internationalen Druck, sich endlich an die Friedenstische zu setzen, machten dieses Land zu einem Ort, wo Unfriede die Menschen um ihr Leben brächten und man den Glauben an die Menschheit verliere, betonte der Vertreter der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Und auch an die Kirchen richtete er ein mahnendes Wort, die eigenen Schritte auf den Weg des Friedens zu lenken und sich nicht fortwährend mit sich selbst zu beschäftigen, um den eigenen Fortbestand zu sichern, sondern diese Selbstfixierung aufzugeben. "Sie dürfen nicht nur mit inneren Prozessen und Förderungen eines innerlichen und privaten Glaubens beschäftigt sein.“ Sich im Sinne des Franz von Assisi zu einem Werkzeug des Friedens machen zu lassen – das sei die Platzanweisung für einen Christen, unterstrich Rekowski und appellierte: "Als Gemeinschaft der Gläubigen, als Christinnen und Christen lassen wir uns führen auf den Weg des Friedens. Wir werden der Welt zu Botschaftern der Versöhnung." Es reiche nicht aus, beim Beschreiben der Dunkelheit zu bleiben. "Die kennen wir, die spüren wir", sagte der Präses, um schließlich die vielen Zuhörer in St. Aposteln mit der Ermutigung zu entlassen: "Unsere Kirchen sind konfessionsübergreifend Hoffnungsgemeinschaften."