Offene Aufbahrung von Benedikt XVI. regt Debatten an

Ein alter Brauch im digitalen Zeitalter

Von 65.000 Menschen ist die Rede, die sich am ersten Tag der öffentlichen Aufbahrung vom verstorbenen ehemaligen Papst Benedikt XVI. verabschiedeten. Mancherorts sorgt der Brauch jedoch für Irritation.

Autor/in:
Annika Schmitz
Menschen verabschieden sich von Papst em. Benedikt XVI. und beten vor seinem aufgebahrten Leichnam / © Ingo Brüggenjürgen (DR)
Menschen verabschieden sich von Papst em. Benedikt XVI. und beten vor seinem aufgebahrten Leichnam / © Ingo Brüggenjürgen ( DR )

Graue Kästchen verdecken am Neujahrsabend immer wieder Tweets beim Kurznachrichtendienst Twitter. Sie warnen vor möglichen sensiblen Inhalten. Dahinter verborgen: Bilder des verstorbenen und nun aufgebahrten ehemaligen Papst Benedikt XVI., die der Vatikan am Neujahrstag veröffentlichte. Im Zeitalter der Sozialen Medien verbreiteten sich die Bilder des Verstorbenen schnell um die ganze Welt.

Hilfreich oder veraltet?

Während am folgenden Tag Tausende in den Petersdom pilgern, um sich vom ehemaligen Papst zu verabschieden, zeigen sich manche Twitter-Nutzer irritiert. Ihnen erscheinen zum einen die verbreiteten Bilder pietätlos, zum anderen aber auch die öffentliche Darstellung des Verstorbenen seltsam. Dabei ist es alter Brauch, die Toten zu Hause noch einmal – gewaschen und frisch bekleidet – aufzubahren, damit sich Familie und Freunde verabschieden können. Haben die Deutschen gar den Umgang mit dem Tod verlernt?

Leider sei eine Aufbahrung hierzulande nicht mehr üblich, erklärte die Bestatterin Sarah Benz dem WDR. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für ganz viele Menschen sehr, sehr hilfreich ist." Solche Rituale könnten dabei helfen, sich zu verabschieden.

"Realität des Todes begreifen"

Auch der Kölner Bestatter Christoph Kuckelkorn begrüßt die öffentliche Aufbahrung des früheren Papstes. "Ich finde das eigentlich eine sehr schöne Sache, dass ein verstorbener Mensch noch mal aufgebahrt wird, dass man sich noch mal verabschieden kann und man überhaupt diese Realität des Todes wirklich begreifen kann", sagte er im Interview gegenüber DOMRADIO.DE.

Kuckelkorn war es auch, der 2017 die Beerdigung für den Kölner Kardinal Joachim Meisner organisierte – inklusive öffentlicher Aufbahrung.

Mag das Verabschieden vom Leichnam nicht mehr überall geläufig sein, es ist ein alter Brauch. In der katholischen Kirche erwuchs aus der Vorbereitung für die Aufbahrung und die Nachtwache das Totenoffizium – ein Totengebet, das von seinem Aufbau her und mit dem Beten der Psalmen dem Schema des Stundengebets entspricht.

Gebet und Scheintod

Doch theologisch gesehen geht es bei dem Brauch um mehr als nur ums Abschiednehmen. Der Tod ist eben nicht absolute Grenze des Lebens, bezeugt der christliche Glaube – Christinnen und Christen erwarten vielmehr die Vollendung ihres Lebens. So wird die Aufbahrung auch zu einer Möglichkeit des persönlichen Gebetes für den Verstorbenen.

Auch die Angst vor dem Scheintod führte im 18. und 19. Jahrhundert dazu, dass eine längere Zeit bis zur Beerdigung überbrückt werden musste. Um sicherzugehen, dass der Tote auch wirklich tot war, wurden Liegefristen von 48 Stunden vereinbart. In den meisten deutschen Bundesländern gilt diese Frist bis heute.

"Reihe der Stellvertreters Petri"

Im Falle des emeritierten Papstes dürfte die Aufbahrung aber noch weiter begründet sein. "Die Kirche will mit der Aufbahrung ihres toten Oberhauptes verdeutlichen: Der verstorbene Papst ist einer, der in einer langen Reihe von Päpsten, das heißt einer in der langen Reihe der Stellvertreter Petri, steht", sagte die Religionswissenschaftlerin Ina Wunn dem Portal katholisch.de.

Trotzdem – Tod und Verwesung spielen im Alltag vieler Menschen erst einmal keine Rolle. Der Körper von Verstorbenen verändert sich, fühlt sich anders an, riecht anders. Bereits im Johannesevangelium warnt denn auch Marta Jesus davor, das Grab des Lazarus noch einmal zu öffnen: "Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag."

Andere prominente Beispiele

Erst in jüngster Vergangenheit gab es prominente Beispiele für eine öffentliche Aufbahrung. In der Westminster Hall konnten sich die Menschen vier Tage lang von Queen Elizabeth verabschieden – ihr Sarg blieb jedoch geschlossen.

Und auch Fußballstar Pele wurde vor der Beisetzung im Stadion von Santos aufgebahrt. Allerdings bedeckte ein weißes Blütenmeer weite Teile des Körpers der Sportlegende. Ein letztes Mal zu sehen bekamen die Fans nur noch einmal sein Antlitz.

Quelle:
KNA