Offene Fragen bei Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung

Kommunen fordern mehr Unterstützung

Die Solidarität in Deutschland mit ukrainischen Kriegsflüchtlingen ist groß, ebenso die Aufnahmebereitschaft. Doch um die Verteilung der Geflüchteten gibt es Rangeleien. Wer trägt am Ende die Rechnung dafür?

Autor/in:
Johannes Senk
Berlin: Helfer verteilen Lebensmittel an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine / © Carsten Koall (dpa)
Berlin: Helfer verteilen Lebensmittel an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine / © Carsten Koall ( dpa )

Die Zahl der aus der Ukraine in Deutschland ankommenden Flüchtlinge nimmt täglich zu. Knapp 200.000 Menschen meldet das Bundesinnenministerium am Freitag, die seit dem Beginn der russischen Invasion die Ukraine verlassen und in Deutschland Zuflucht gesucht haben.

Die tatsächliche Zahl könne aber höher liegen, da Ukrainer aufgrund des Visumsabkommens ohne Registrierung einreisen könnten und an den Grenzen keine lückenlosen Kontrollen stattfänden.

Menschen auf der Flucht aus der Ukraine / © Alejandro Martínez Vélez (dpa)
Menschen auf der Flucht aus der Ukraine / © Alejandro Martínez Vélez ( dpa )

Dass Geflüchtete aus der Ukraine - auch solche, die nicht bei Freunden oder Bekannten Unterschlupf finden können - in Deutschland aufgenommen werden sollen, ist gesellschaftlicher Konsens.

Beschlüsse des Bund-Länder-Gipfels

Dementsprechend einhellig fielen auch die Beschlüsse des Bund-Länder-Gipfels zum Thema am Donnerstagabend aus: Die Geflüchteten sollen schnell registriert und über das Bundesgebiet verteilt werden. Die Registrierung erfolge über das Ausländerzentralregister und werde vom Bund soll personell und materiell unterstützt. Die Verteilung erfolge nach dem Königsteiner Schlüssel; der Bund nehme dabei "eine stark koordinierende Funktion" ein.

Es müsse unbedingt ein "zweites 2015", eine erneute "Flüchtlingskrise", verhindert werden - solche oder ähnliche Äußerungen waren zuletzt oft zu hören. Doch bleibt ein zentraler Punkt in den nun getroffenen Beschlüssen vorerst noch offen: die Finanzierung. Der Bund erkenne hier eine "generelle Mitverantwortung" an, ein genaues Konzept wird es wohl aber erst im April geben, nachdem eine Arbeitsgruppe Lösungsvorschläge vorgelegt hat.

Flüchtlinge aus der Ukraine werden am Kölner Hauptbahnhof von Freiwilligen Helfern empfangen, / © Adelaide Di Nunzio (KNA)
Flüchtlinge aus der Ukraine werden am Kölner Hauptbahnhof von Freiwilligen Helfern empfangen, / © Adelaide Di Nunzio ( KNA )

So ist es denn auch wenig verwunderlich, dass schon kurz nach der Konferenz die ersten Stimmen laut wurden, die sich gerade an dem finanziellen Punkt schnitten. Die Linken-Bundesvorsitzende Janine Wissler etwa fordert eine vollständige Kostenübernahme durch die Bundesregierung. "Die Kommunen sind bei der Aufnahme von Geflüchteten auf finanzielle Hilfe des Bundes angewiesen", sagte Wissler dem "Spiegel" (Samstag). Der Bund müsse "einen Gang höher schalten" und die nötige Infrastruktur für Geflüchtete schaffen.

Wer finanzieret das?

Ähnlich sehen das auch die Städte und Gemeinden selbst: "Angesichts des großen Engagements und der überwältigenden Solidarität der Bürger in den Kommunen erwarten wir vom Bund eine klare Zusage zur Übernahme der Finanzierung bei Unterbringung, Versorgung und Integration sowie Unterstützung und Vereinfachung der Verfahren bei der Registrierung und Verteilung", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der "Rheinischen Post". Dem würden die Beschlüsse noch nicht gerecht.

Die Kommunen sähen eine "Herkulesaufgabe" auf sich zukommen und fürchteten eine Überlastung ihrer Kapazitäten. Eine Idee, diese zu umgehen wäre etwa, die Verteilung und Versorgung der Flüchtlinge noch vor ihrer Ankunft in Deutschland, etwa bereits in Polen anzusetzen.

 Geflüchtete aus der Ukraine am Grenzübergang am polnischen Dorf Mlyny an der Grenze zur Ukraine / © Valerio Muscella (KNA)
Geflüchtete aus der Ukraine am Grenzübergang am polnischen Dorf Mlyny an der Grenze zur Ukraine / © Valerio Muscella ( KNA )

Diesen Vorschlag brachte der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, bei den Zeitungen der Funke Mediengruppe ins Spiel.

Ausdrücklich begrüßten die Landkreise die angekündigte Verteilung der Geflüchteten nach den Maßgaben des Königsteiner Schlüssels. Das sei "das beste Mittel, um eine Überlastung einzelner Landkreise und Städte zu verhindern", so Sager.

Ist ein Verteilungsmechanismus sinnvoll?

Der Migrationsforscher Herbert Brücker hingegen lehnt diesen Verteilungsmechanismus ab: "Alle Forschungen zeigen, dass dies schon in der Vergangenheit falsch war." Er leitet den Forschungsbereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Ohne die Verpflichtung, an einem zugewiesenen Wohnort zu bleiben, könnten die Menschen leichter Arbeit finden. "2015 hat die Wohnsitzauflage der Integration geschadet", mahnte Brücker im "Spiegel". Damals seien viele Geflüchtete nach der Verteilung über den Länderschlüssel nicht in boomenden Gegenden gelandet und "chancenlos" geblieben. Auch Faktoren wie Wohnungsmarkt, Arbeitsmarkt, Betreuungs- und Schulangebote sollten berücksichtigt werden. "Ich wäre für ein Ampelsystem, runtergebrochen auf Kreisebene, die Daten dafür haben wir", sagte Brücker.

Schätzung: 225.000 Ukraine-Flüchtlinge kommen nach Deutschland

Laut einem Bericht des "Spiegel" (Samstag) schätzt die Internationale Organisation für Migration (IOM), dass bis zu 225.000 Kriegsvertriebene aus der Ukraine in Deutschland Schutz suchen könnten. Das gehe aus einem internen Papier der Bundesregierung hervor. Demnach rechnet die Organisation damit, dass insgesamt bis zu 1,7 Millionen Flüchtlinge die Ukraine wegen des Angriffs Russlands auf das Land verlassen werden.

Knapp eine Woche nach dem Angriff Russlands sind schon rund 666.000 Menschen aus der Ukraine geflohen / © Visar Kryeziu/AP (dpa)
Knapp eine Woche nach dem Angriff Russlands sind schon rund 666.000 Menschen aus der Ukraine geflohen / © Visar Kryeziu/AP ( dpa )
Quelle:
KNA