DOMRADIO.DE: In unserem Podcast wollen wir an dieser Stelle nach Südkorea blicken, eines der Länder, das als erstes mit der Corona-Situation zu tun hatte. Auf der anderen Seite ist es aber eines der Länder, dass die wenigsten Todesopfer zu beklagen hat, gerade mal 200 sind das, während wir in Deutschland ja in mehreren Tausenden sind. Wir wollen wissen, wie die Situation dort aussieht, auch in den christlichen Gemeinden und sind in Seoul, in der Hauptstadt. Deshalb sprechen wir mit Mi-Hwa Kong, der Pfarrerin der deutschen evangelischen Gemeinde. Einen schönen guten Tag.
Mi-Hwa Kong (evangelische Pfarrerin aus Südkorea): Hallo.
DOMRADIO.DE: Erzählen Sie uns erst einmal, wie ist die Lage bei Ihnen? Wie sieht es bei Ihnen aus?
Kong: Also bei uns sieht es aktuell ganz beruhigt aus. Wir haben pro Tag etwa 40 Neuinfizierte, das ist ja eine sehr geringe Zahl und die meisten davon sind Menschen, die aus dem Ausland wieder nach Korea zurückkehren. Von daher ist die Situation relativ entspannt. Also noch anders als zu der Anfangszeit.
DOMRADIO.DE: Was ist denn so das Bild, wenn Sie bei sich vor die Haustür gehen? Wie ist das in der Stadt?
Kong: Es ist nicht ganz so leergefegt wie am Anfang wo alle so ein bisschen im Schockzustand waren. Es gab ja auch diese Begebenheit mit dieser Gemeinde oder Sekte in Daegu. Da waren die Leute ziemlich geschockt und die Straßen waren leergefegt. Das hat sich jetzt ein bisschen geändert. Man merkt Frühlingsstimmung und die Menschen sind ein bisschen entspannter. Es ist halt eine Metropole und deshalb ist es nicht möglich, dass hier gar nichts los ist. Aber es ist schon anders als der Alltag sonst.
DOMRADIO.DE: Das heißt?
Kong: Restaurants sind nicht mehr so voll, sonst gibt es immer Menschenmassen. Auch die Straßen sind ein bisschen weniger gefüllt, habe ich den Eindruck und auch die öffentlichen Verkehrsmittel werden nicht mehr so viel genutzt. Die Menschen versuchen sich schon möglichst zu Hause aufzuhalten, weil sie ja beispielsweise Home-Office machen und von zu Hause arbeiten. Von daher weniger Leben auf der Straße als sonst.
DOMRADIO.DE: Sie klingen aber relativ entspannt in der Situation gerade.
Kong: Es bleibt einem erstens nichts anderes übrig und zweitens finde ich, dass beim Sorgen machen das Kopfkino startet. Nach so vielen Wochen gewöhnt man sich ein Stück weit an die Situation und es wird zwar nicht direkt Normalität, aber die Gewöhnung tritt ein.
DOMRADIO.DE: Sie sind ja ungefähr anderthalb Monate vorweg, glaube ich. Bei Ihnen ging das alles so Ende Januar los, richtig?
Kong: Ja, ich würde mal sagen, so um die Karnevalszeit ging das bei uns hier los.
DOMRADIO.DE: Das heißt, dass Sie seitdem auch quasi alle zu Hause in Isolation sind?
Kong: Nicht ganz so extrem. Bei uns ist ja das Interessante, dass es eine Empfehlung von der Regierung gibt, möglichst zu Hause zu bleiben. Die Leute halten sich daran, auch was die Maskenpflicht anbelangt. Dadurch, dass sie sich freiwillig daran gehalten haben, war es nicht nötig strengere Maßnahmen durchzusetzen. Wir haben hier keine Ausgangssperre, das ist alles freiwillig, dass wir zu Hause sind und die Menschen machen mit. Letztendlich haben wir alle was davon, weil wir die Freiheit haben, selber zu entscheiden. Das ist aber auch nicht immer einfach und es hat sein für und wieder. Ich finde, dass in Einzelsituationen der Mensch auch gefordert ist, mit der Freiheit verantwortungsvoll umzugehen. Treffe ich mich jetzt mit einer Person oder lasse ich es lieber sein? Die Entscheidung liegt eben bei der Einzelperson.
DOMRADIO.DE: Die Frage, die sich die Zeitungen und Medien hier stellen ist: Warum funktioniert das bei Ihnen? Auf der einen Seite haben Sie China in der Nähe, die ja mit ihrem Staatssystem ganz anders vorgehen können, aber das was Sie beschreiben ist ja vergleichbar mit der Situation in Schweden. Die Leute sagen, dass es die Verantwortung des Einzelnen ist. Aber in Schweden funktioniert es überhaupt nicht. Die haben ja so viele Infektionen wie der Rest Skandinaviens zusammen. Wieso klappt das bei Ihnen?
Kong: Es sind mehrere Faktoren. Zum einen hat Südkorea Erfahrungen in den vergangenen Jahren gehabt, einmal mit MERS und SARS, das heißt Südkorea war dadurch geübt mit einer solchen Situation umzugehen. Sie haben aus ihren Fehlern gelernt. Es hat also einen Trainingseffekt gegeben und das macht erst einmal viel aus. Es ist hier ein demokratisches System und wir leben Demokratie und es ist einfach faszinierend das so zu beobachten, dass sich die Menschen daran halten. Wir hatten ja jetzt auch Wahlen am Mittwoch. Korea ist natürlich auch kollektiv organisiert. In Korea ist die Bevölkerung immer auf die Gemeinschaft hin orientiert. Aus Rücksicht macht man viele Dinge. Das Individuum spielt weniger eine Rolle. Das heißt, da gibt es dann auch wieder Gruppendruck, zum Beispiel bei der Maskenpflicht.
DOMRADIO.DE: Das heißt, da wird man dann komisch angeguckt, wenn man keine Maske trägt?
Kong: Genau. Das ist als Europäerin sehr komisch, weil wir es nicht gewohnt sind eine Maske zu tragen, auch wenn wir krank sind. Aber hier waren die Koreaner das in verschiedensten Zusammenhängen schon gewohnt. Wenn sie krank sind, tragen sie immer eine Maske, um die anderen nicht anzustecken. Schon vorher bei anderen Krankheiten war das so. Wegen der Feinstaubsituation wird hier oft eine Maske getragen und wenn man das nicht macht, gibt es Unruhe. Es gibt ja hier dieses Tracing, also wo nachverfolgt werden kann, was eine infizierte Person alles gemacht hat in den vergangenen Tagen, also in welchen Gebäuden man sich aufgehalten hat und welche Orte man besucht hat. Wenn die Person dabei keine Maske getragen hat, dann gibt es richtig Ärger in der Gruppe.
DOMRADIO.DE: Das mit dem Tracing wird ja bei uns in Deutschland auch diskutiert, also ob wir das mit einer App aufs Handy bekommen können. Haben Sie das dann auch auf dem Handy?
Kong: Ja, wir bekommen immer Informationen, wenn bei uns im Viertel jemand infiziert ist und dann kann man auf einen Link klicken und weiß wo die Person sich aufgehalten hat. War sie vielleicht im Kaufhaus oder beim Zahnarzt? So kann man selbst herausfinden, ob man gefährdet ist und sich besser testen lassen sollte.
DOMRADIO.DE: Das Testen ist bei Ihnen auch möglich? Korea war ja das erste Land, das wirklich Massentests für große Teile der Bevölkerung gemacht hat.
Kong: Genau.
DOMRADIO.DE: Haben Sie sich selbst testen lassen?
Kong: Nein, bisher hat sich nicht die Situation ergeben, dass ich sage, ich müsste mich testen lassen.
DOMRADIO.DE: Aber Sie hätten quasi die Möglichkeit dazu?
Kong: Genau.
DOMRADIO.DE: Sie sind ja Pfarrerin der deutschen evangelischen Gemeinde. Wie sieht das denn mit dem Gemeindeleben und den Gottesdiensten im Moment aus?
Kong: Ja das hat sich natürlich ganz schön stark gewandelt. Wir bieten keine Gottesdienste mehr an. Bei uns im Land war es ja ausgerechnet so eine Sekte, die zu Masseninfektionen geführt hat. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, gab es eine Person die dann letztendlich 7.000 angesteckt hat und dadurch mussten wir als Kirchen noch vorsichtiger sein. Es wird dann oft alles unter einen Mantel gesteckt. Es gab dann die Empfehlung der Regierung, Gottesdienste möglichst nicht stattfinden zu lassen und wir haben uns von Anfang an daran gehalten. Diese Entscheidung fiel uns nicht leicht, aber die katholische koreanische Kirche hat da recht schnell reagiert, aber auch einige andere Kirchen. Gerade als Ausländer haben wir gesagt, dass es besser wäre vorsichtig zu sein und keine Gottesdienste zu feiern. Wir wollen nicht in einem schlechten Licht dastehen. Am Anfang waren wir schockiert und wussten nicht, wie wir mit der Situation umgehen sollten, haben aber jetzt online Livegottesdienste angefangen per Zoom. Da können sich sonntags Menschen einschalten, um 18.00 Uhr unserer Zeit und um 11.00 Uhr deutscher Zeit. Wir feiern dann gemeinsam über den Bildschirm Gottesdienst, was auch seinen Charme hat. Das haben wir auch Ostern mit dem Abendmahl gemacht. Also wir werden kreativ und innovativ.
DOMRADIO.DE: Wie machen Sie das dann? Wie läuft so ein Abendmahl via Zoom ab?
Kong: Jeder hat seinen Wein und sein Brot zu Hause parat und ich bin ja auch vor dem Bildschirm. Wir sprechen ein Gebet und segnen den Kelch und unser Brot und es wird gemeinsam Abendmahl gefeiert. Es ist nicht die klassische Version, wie wir es sonst machen, wir nennen es auch Agape-Mahl. Es ist eine Einladung, so wie wir es ja auch im ökumenischen Kontext machen, sodass wir gemeinsam Agape feiern können. Auch wenn es kein richtiges Abendmahl ist.
DOMRADIO.DE: Ich finde es aber auch spannend, was für kreative Lösungen man im Moment findet.
Kong: Ja genau, man wächst über sich selber hinaus. Ich bin nicht unbedingt so technisch affin und jetzt bleibt einem nichts anderes übrig.
DOMRADIO.DE: Was hören Sie denn so von Ihren Gemeindemitgliedern? Wie gehen die denn mit der Situation um?
Kong: Das ist unterschiedlich. Es gibt Mütter, die Kinder zu versorgen haben, deren Kinder seit einigen Monaten nicht mehr zur Schule gehen. Das Schuljahr läuft hier ein bisschen anders. Das heißt, dass die Kinder seit Weihnachten nicht mehr in der Schule sind und es ist sehr anstrengend für die Mütter, die Kinder zu beaufsichtigen und jetzt das Onlinelernen zu unterstützen. Dann gibt es wiederum die anderen, die in Isolation leben und mit dieser Situation zurechtkommen müssen. Also es sind ganz unterschiedliche Themenfelder, denen man ausgesetzt ist.
DOMRADIO.DE: In Deutschland hat sich überraschenderweise das Solidaritätsgefühl schnell ausgebreitet. Die Leute sind für ihre Nachbarn einkaufen gegangen und haben alles vor der Tür abgestellt. Funktioniert das in Korea auch so?
Kong: Das System läuft einfach sehr gut hier. Es gibt von der Regierung viele Unterstützungsmöglichkeiten und dadurch, dass wir hier keine Ausgangssperre haben, haben wir noch viel Freiheit selber einkaufen zu gehen oder Dinge zu erledigen. Selbst das Fitnessstudio ist noch geöffnet, also wir sind nicht so sehr eingeschränkt und von daher ist das weniger nötig. Aber was ich spannend finde ist, dass sich neue Möglichkeiten eröffnen. Also wenn wir jetzt diese Onlinegottesdienste anbieten, nehmen daran auch Menschen aus Deutschland teil und das ist wirklich faszinierend. Auf der einen Seite sind wir eingeschränkt, aber auf der anderen Seite sind die Grenzen offen. Die digitale Welt ist dann global und das finde ich spannend.
DOMRADIO.DE: Also ich glaube man kann die Situation so zusammenfassen: Sie haben mehr Freiheiten, also es ist alles nicht so grundsätzlich eingeschränkt dafür kann man im einzelnen Fall durch die Tracing-Methoden etwas konkreter sagen, wo die Probleme liegen.
Kong: Ja.
DOMRADIO.DE: Dann lassen Sie mich noch eine Abschlussfrage stellen, die ich jeden im Moment bei diesen Gesprächen frage: Was bringt Ihnen Hoffnung im Moment?
Kong: Hoffnung bringt mir, dass Neues wächst. Ich finde, das passt auch gerade zur Osterzeit. Es gibt das Leiden und dann gibt es die Auferstehung. Also die Hoffnung und so sehe ich das. Es gibt einige Dinge, die uns einschränken in unserem Leben und gleichzeitig wachsen wir über uns hinaus und es entsteht etwas völlig Neues. Das finde ich faszinierend. Ich lerne das Leben nicht mehr so ganz zu kontrollieren wie ich es vielleicht sonst so machen würde.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.
Hinweis:
Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.