Studierende leiden während Corona-Krise unter Einsamkeit

"Online geht das nicht nochmal ein Semester"

Die Sicherheitsmaßnahmen der Corona-Krise haben auch Studierenden zu schaffen gemacht. Die Einsamkeit durch Vorlesungen und Seminare im Internet sei für viele dramatisch, betont Seelsorgerin Martina Schäfer-Jacquemain – und warnt.

Corona-Krise fördert Einsamkeit von Studierenden / © fizkes (shutterstock)
Corona-Krise fördert Einsamkeit von Studierenden / © fizkes ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie sind Theologin, Supervisorin und arbeiten als psychosoziale Beraterin von Studierenden. Was genau machen Sie bei Ihrer Arbeit?

Martina Schäfer-Jacquemain (Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, psychosoziale Beratung von Studierenden): Ich habe als Theologin und Supervisorin Beratungszeit und stehe im Moment hauptsächlich für Studierende zur Verfügung, die psychische oder soziale Probleme haben. Das ist auch von meiner Arbeitszeit her so vorgesehen. Ich stehe also für diejenigen als Ansprechpartnerin zur Verfügung, die sich vertrauensvoll an jemanden wenden, weil sie sich mit der Situation überfordert fühlen.

DOMRADIO.DE: Was sagen Sie den Studierenden? Geben Sie Ratschläge oder hören Sie nur zu?

Schäfer-Jacquemain: Eine gute Beraterin gibt nie Ratschläge, denn Ratschläge sind auch Schläge. Es ist so, dass ich das begleite, was die Studierenden mir anvertrauen. Ich höre gut zu, ich bestärke sie in dem, was sie angehen wollen, ich begleite sie in dem, was sie nicht angehen können und überlege auch zum Teil mit ihnen, ob eine Therapie nötig ist.

Da haben wir gute Kontakte mit dem Kölner Studierendenwerk, wo ich sie dann hin vermitteln kann, sodass sie da zeitnah auch therapeutisch unterstützt werden, weil manchmal nicht nur Seelsorge hilft, sondern auch Therapie nötig ist.

DOMRADIO.DE: Sie sind Theologin, Supervisorin und ausgebildete Telefonseelsorgerin: Welchen dieser drei Bereiche brauchen Sie denn am ehesten für diesen Job, den viele vielleicht gar nicht kannten?

Schäfer-Jacquemain: Ich glaube alle drei Bereiche sind nötig. Von der Gewichtung her sieht es so aus: Ich bin Theologin und habe ein besonderes Menschen- und Gottesbild. Das ist aber für mich eine eigene Energie und Motivation. Ich missioniere keinen in der Beratung, sondern ich bin eine neutrale Beraterin und mache so Seelsorge.

Meine Ausbildung als Telefonseelsorgerin kommt mir gerade jetzt während der Corona-Krise zugute. Ich habe noch nie so viel Telefonberatung wie jetzt in der Hochschulgemeinde gemacht – und ich bin seit zwölf Jahren Hochschulseelsorgerin. Sonst bespricht man sich in einem persönlichen Gespräch. Aber durch die Corona-Krise findet das nun am Telefon statt. Wenn ich nicht die Ausbildung hätte, glaube ich, täte ich mich damit viel schwerer.

DOMRADIO.DE: Eine Universität ist etwas anderes als eine Schule. Die Studierenden haben ein ganz anderes Verhältnis zu einem Dozenten als zu einem langjährigen Klassenlehrer. Braucht es da so eine Seelsorge von Seite der Universität aus? Wird das in Anspruch genommen?

Schäfer-Jacquemain: Ja, wobei ich da nochmal unterscheide. Wir sind in Köln eine Studierendenstadt mit 73.000 Studierenden. Und da unterscheide ich zwischen den Uni-Studierenden, den TH-Studierenden und denen der Katholischen Hochschule oder anderen kleinen Hochschulen. Da merkt man deutlich, welche Rolle Anonymität im Studium spielt. Nichts ist so anonym wie die große Uni Köln. Da ist es halt schwierig, sich anzudocken, Kontakt zu einem Professor, zu einem Dozenten oder zu Mitstudierenden aufzubauen. Da spielt Einsamkeit, Vereinzelung und Anonymität eine ganz große Rolle.

DOMRADIO.DE: Was erzählen die Studierenden Ihnen denn momentan? Welche Sorgen haben sie im Kopf?

Schäfer-Jacquemain: Die große Sorge, gerade bei international Studierenden, die ich sehr gut nachvollziehen kann, ist, dass sie sich sehr vereinzelt fühlen, weil sie keinen Background haben wie die deutschen Studierenden, die dann, wie das auch geschehen ist, in ihre Kernfamilien zurückgegangen sind.

Rund zwei Drittel der Studierenden sind in die Kernfamilie zurückgegangen und haben ihr Apartment, ihr WG-Zimmer aufgegeben oder ruhen lassen und sind nach Hause gegangen. Das ist für international Studierende nicht möglich. Sie können nicht nach Hause fahren. Dadurch fühlen sie sich total isoliert und merken einfach, dass die Studienabläufe für sie viel schwieriger zu bewältigen sind, wenn sie nicht im direkten Kontakt in einem Hörsaal neben Studierenden sitzen und nachfragen können: Hast das verstanden? Kannst Du mir das mal erklären?

DOMRADIO.DE: Wie läuft die Uni jetzt weiter? Werden Studierende immer mehr oder vielleicht ausschließlich digital arbeiten und lernen?

Schäfer-Jacquemain: Das ist eine große Sorge von uns. Wir haben vieles, wo wir mitreden konnten. Ich habe selber einen Lehrauftrag an der Katholischen Hochschule. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass zwar alle Großveranstaltungen wie Vorlesungen weiter digital, also online laufen, aber die kleineren Seminare wieder mit Präsenz stattfinden.

Selbst wenn man dann unter den Seminarteilnehmern wechseln würde, dass heißt die eine Hälfte kommt zu der einen Woche, die zweite Hälfte kommt zur nächsten Woche, wäre das eine Form, die den Studierenden entgegenkommt. Die wollen sich wieder sehen, die wollen den Kontakt zu den Lehrenden. Online geht das nicht nochmal ein Semester.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Quelle:
DR