DOMRADIO.DE: Nordkorea führt diese Liste der Christenverfolgung an, wie seit Jahren schon. Dort gilt eine Staatsreligion. Was passiert mit Menschen, die sich nicht zu dieser Staatsreligion bekennen oder zu Hause heimlich christliche Gottesdienste feiern?
Markus Rode (Leiter Des Hilfswerks Open Doors Deutschland): Diese Menschen werden gezielt gesucht. Wenn man sie findet, dann muss man damit rechnen, dass sie sogar öffentlich hingerichtet werden als abschreckendes Beispiel. Das Auffinden einer Bibel ist ein Staatsverbrechen und die Christen können sich auch nur in ganz kleinen Gruppen treffen. Einige sagen, sie flüstern ihre Lieder.
Sie werden beäugt von der Nachbarschaft. Es gibt in Nordkorea ein System des Misstrauens, das bewusst geschürt wird. Jeder soll sich selbst und den anderen kritisieren. Wenn er etwas findet, was nicht konform ist mit diesem Regime und den Zielen, dann muss er das sofort melden. Da werden von Anfang an sogar die Kinder erzogen, ihre Eltern zu verraten.
Deshalb ist es für Christen extrem schwierig zu überleben, zumal sie, wenn sie entdeckt werden, nicht nur alleine ermordet werden, sondern die ganze Familie manchmal auch in ein Arbeitslager kommt, wo sie zu Tode gequält werden.
DOMRADIO.DE: Auf den folgenden Plätzen im Negativranking stehen Länder wie der Jemen, Somalia oder Iran. Auf den Plätzen 2 bis 10 stehen ausschließlich muslimisch geprägte Länder. Gibt es da einen Zusammenhang?
Rode: Ja, es ist das Ziel der radikal-islamistischen Gruppierungen, ein Kalifat zu errichten. Wir haben das damals mit dem "IS" erlebt im Nahen Osten. Und genau das ist jetzt im Prinzip die Operationsbasis nicht nur des "IS". Viele Kämpfer sind in die sogenannten "failed states", die gescheiterten Staaten, geflohen, wie zum Beispiel Somalia, Jemen, aber auch andere, wo es keine wirklich stabilen Regierungen gibt. Das ist sozusagen deren Auffangbecken, von da aus versuchen sie andere Länder zu islamisieren.
Und da leben auch Christen und das sind gerade die Länder südlich der Sahara, wo Gruppen wie Al Kaida, Boko Haram, besonders in Nigeria oder die Al Shabaab Milizen von Somalia aus in die Nachbarländer hinein operieren.
Und dann muss man dazu sagen, es sind auch Clansysteme, Familiensysteme. Das heißt, die Clans sind oft stärker als irgendwelche Regierungen. Und von diesen Clans aus geht auch eine massive Verfolgung gegen solche Menschen aus, die sich zum christlichen Glauben entscheiden, also sogenannte Konvertiten. Und die werden in diesem engmaschigen System dieser Familien und Clans extrem verfolgt oder direkt ermordet.
Es gibt aber unter diesen zehn Ländern zum Beispiel den Iran, da geht die Verfolgung vom Staat direkt aus, der Staat ist die Hauptverfolgungsquelle. Gerade im Iran kommen sehr viele Muslime zum Glauben an Jesus Christus. Das ist natürlich dieser islamistischen Regierung ein Dorn im Auge. Und sie geht brutal hart gegen solche Abweichler vor.
DOMRADIO.DE: Im Ranking tauchen auch Länder wie Kolumbien, Nicaragua und Kuba auf. Das überrascht ja doch, weil Lateinamerika immer noch DER katholische Kontinent ist. Beobachten Sie da eine grundsätzliche Abkehr vom Glauben?
Rode: Nein, das kann man nicht sagen. Es ist keine grundsätzliche Abkehr. Es ist eine gewisse Säkularisierung. In Nicaragua und Kuba herrschen schon seit langer Zeit kommunistische Regime, die dort auch Diktatoren an der Macht haben. Nicaragua war im letzten Jahr auf dem Weltverfolgungsindex noch an Position 50, also relativ weit hinten, und ist jetzt vorgerückt auf Platz 30 für eine deutliche Verschärfung der Verfolgung.
Das liegt daran, dass zum Beispiel Bischöfe der katholischen Kirche, aber auch andere Denominationen die Einschränkung Menschenrechte durch Präsident Ortega kritisiert haben. Dieser hat dann begonnen, christliche Kirchen zu schließen. Er hat sie umstellt, sie durften keine Osterprozessionen machen, er hat Radiosender, Ausbildungsstätten, alles von Christen, praktisch geschlossen und hat auch viele Priester und Nonnen inhaftiert und sie zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
In Kuba haben wir im Prinzip eine ähnliche Situation. Auch da hat es eine Verschlechterung gegeben durch das kommunistische Regime. Dort schränkt man die Glaubensfreiheit ein, weil eben Christen auch für Menschenrechte sprechen.
DOMRADIO.DE: Wenn wir das Gesamtbild betrachten, welche Entwicklungen machen Ihnen besondere Sorgen?
Rode: Wenn man diesen Weltverfolgungsindex sich genauer anschaut, dann sieht man, dass besonders die Gewalt exponentiell zugenommen hat im Vergleich zur letzten Veröffentlichung des Weltverfolgungsindex. Zum Beispiel Angriffe auf Kirchen: Wir hatten im letzten Index circa 2.100 dokumentiert, in diesem Jahr ist die Zahl auf 14.800 Angriffe auf Kirchen kirchliche Einrichtungen angestiegen.
Die Vertreibung von Christen ist auch unfassbar. Im letzten Jahr waren es schon über 124.000 und in diesem Jahr haben wir über 280.000 solcher Angriffe dokumentiert.
Und wenn man sich mal die Ermordung von Christen anschaut, da ist Nigeria ein Hotspot. Dort sind rund 4.100 Christen im aktuellen Berichtszeitraum ermordet worden. Und auch in Indien, wo die Hindunationalisten an der Macht sind: Allein im Mai wurden im Bundesstaat Manipur mehr als 400 Kirchen zerstört und über 100 Christen ermordet in einer einzigen Aktion.
Das zeigt diese Eskalation der Macht. Die Regierungen hetzen gegen Christen auf, verbreiten falsche Nachrichten und versuchen letztendlich, ihre Religion komplett zur Nationalreligion zu bestimmen. Und Christen haben da keinen Platz.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch positive Entwicklungen?
Rode: Die muss man leider mit der Lupe suchen. Wir haben in Mali, obwohl sich die Situation von Mali auch im Index verschlechtert hat, einen kleinen Lichtblick. Dort gibt es eine Verfassung, die den Bürgern zur Annahme gestellt wurde. Da haben tatsächlich Christen einen Platz, zumindest auf dem geschriebenen Papier. Und die Bevölkerung in Mali hat sich dafür entschieden, diese Verfassung anzunehmen. Ob daraus etwas für Christen entsteht, dass sie respektiert werden, das ist noch die andere Frage.
Das Interview führte Hilde Regeniter.