50.000 Orgeln stehen in deutschen Kirchen, 400 Orgelbau-Betriebe beschäftigen in der Bundesrepublik über 2.500 Menschen, tausende arbeiten als Kirchenmusiker. Sie alle könnten Träger des internationalen immateriellen Kulturerbes der Unesco werden. Die Vereinigung der Orgelsachverständigen Deutschlands (VOD) hat dafür jetzt einen entsprechenden Antrag eingereicht, wie das Erzbistum Freiburg und die Landeskirche Baden am Montag mitteilten.
Orgelmusik und Orgelbau wären eines der ersten deutschen Kulturgüter auf der weltweiten Liste. Kein Wunder, sagt der Orgelsachverständige Michael Kaufmann: "Die Orgel ist als Kulturgut seit Jahrtausenden im Bewusstsein der Menschheit." Auf die deutsche Liste des immateriellen Erbes haben Orgelbau und Orgelmusik es bereits vor zwei Jahren geschafft. Diese Liste umfasst bislang 34 lebendige Kulturformen wie Brotbacken, das Sternsingen oder die Morsetelegrafie. Ergänzend zu den berühmten Welterbestätten geht es hier darum, Alltagskulturen und -traditionen zu erhalten.
"Bedeutender Kulturfaktor"
Auf die internationale Liste könnten es die ersten deutschen Kulturgüter bereits in diesem Jahr schaffen: Ende November fällt die Entscheidung über die Aufnahme der ersten deutsche Unesco-Nominierung "Idee und Praxis der Organisation von gemeinsamen Interessen in Genossenschaften" sowie die mit deutscher Beteiligung beantragte Erweiterung des multinationalen Eintrags "Falknerei". 2017 gehen dann Orgelbau und Orgelmusik ins Rennen.
Bereits die Aufnahme ins deutsche Verzeichnis sei "eine Ehre" gewesen, betont Musikwissenschaftler Kaufmann. Er leitet die Aus- und Fortbildungskurse der VOD und war am aktuellen Antrag federführend beteiligt. "Allerdings habe ich schon ein wenig darauf spekuliert, dass es so kommen wird", räumt er ein. In ihrer Vielfalt und historischen Entwicklung sei die Orgel gerade in Deutschland "zu einem überaus bedeutenden Kulturfaktor" geworden.
Auch "Nicht-Dinge" werden gewürdigt
Die Idee, neben berühmten Welterbestätten wie dem Kölner Dom, der Wartburg oder dem Kloster Corvey auch immaterielle kulturelle Traditionen zu würdigen, kommt aus dem asiatischen Raum. "Das gebaute Erbe hat dort einen geringeren Stellenwert als bei uns", erklärt der zuständige Referent der Deutschen Unesco-Kommission (DUK), Benjamin Hanke. "Wenn ein asiatischer Tempel abgerissen und neu aufgebaut wird, ändert das nichts an seinem spirituellen Wert." Zudem könnten auch Bauwerke nicht ohne handwerkliche Kenntnisse entstehen. "Und die spirituelle Dimension des Kölner Doms ist ja mindestens genauso wichtig wie die bauliche."
Aus diesen Überlegungen entstand bereits um die Jahrtausendwende die Idee, nicht-dingliche Ausdrucksformen der Kultur zu würdigen und ihren Erhalt zu fördern. 2003 verabschiedete die Unesco das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes; inzwischen sind der Konvention mehr als 160 Staaten beigetreten. Deutschland ist erst seit 2013 dabei. Hier werde, so die DUK, noch debattiert, was lebendige Kultur ausmache - und diese Debatte könne durchaus noch breiter geführt werden.
"Abseitiges für ein breites Publikum"
Denn nicht nur Althergebrachtes kann immaterielles Kulturerbe der Menschheit werden: Ein Beispiel für moderne Kulturgüter ist das Poetenduell "Tsiattista" aus Zypern, vergleichbar mit den hiesigen Poetry Slams. Bekanntere Traditionen auf der weltweiten Unesco-Liste sind Tango oder Caporeia, die Peking-Oper oder das Kunsthandwerk des japanischen Büttenpapiers Washi.
Ziel sei es aber auch, Abseitigeres einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Hanke: "Bauwerke bleiben, aber wenn der einzige Mensch verstirbt, der noch einen speziellen Tanz beherrschte, dann verschwindet gleich eine ganze Tradition."