Das Bonner Unternehmen fertigt die kleinste Orgel in ihrer Geschichte. Genauer: ein "Portativ". Für das tragbare Instrument, das etwa so viel wie ein Kasten Bier wiegt, hat eine mittelalterliche Figur in der Kölner Kathedrale die Anregung geliefert.
Jahrhunderte lang führt das Kleinod aus der ersten Bauphase des Doms ein Schattendasein, bis es eines Tages der langjährigen Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner ins Auge fällt - bei der Restaurierung jener zwölf Apostelfiguren, die überlebensgroß von den Pfeilern im Chor auf den Altarraum des gotischen Gotteshauses hinunterblicken. Wer genau hinsieht, entdeckt auf den Baldachinen über den Köpfen der Jüngerskulpturen Engelfiguren, die allesamt Musikinstrumente tragen. Und einer dieser musizierenden Himmelsboten hält - zur Überraschung von Schock-Werner - "ein Örgelchen in der Hand".
Denn bislang war man davon ausgegangen, dass es solche Darstellungen erst ab dem 14. Jahrhundert gab. Der Engel mit dem Portativ stammt aber aus dem Jahrhundert davor - und ist damit ein Beleg dafür, dass es ein solches Instrument schon viel früher gegeben hat. Schock-Werners Entdeckung rüttelt schließlich den Orgelbauer Philipp Klais auf, der zwischen 1996 und 2006 immer wieder an den großen Dom-Orgeln gearbeitet und damals der kleinen Engelfigur keine Beachtung geschenkt hatte. Seine spontane Idee zur Wiedergutmachung: Den Engel "aus seinem Dornröschenschlaf zu holen" und das mittelalterliche Instrument in dessen linken Arm zu rekonstruieren - zumal sich ein solches Projekt gerade auch für die Auszubildenden in seiner Werkstatt eignet.
Ein Experiment
Gesagt, aber nicht einfach getan. Denn es gilt zunächst, viele Fragen zu klären. Zum Beispiel: Wie groß war der mittelalterliche Mensch und welche Maße soll das Instrument haben? Als grobe Vorgabe gibt Klais aus, sich nur von der äußeren Darstellung der Skulptur leiten zu lassen - "ein Versuch, uns auf eine nicht-wissenschaftliche Art dem Portativ handwerklich zu nähern". Entstanden ist ein Gestell aus Nadelholz, das zehn kleinere Metallpfeifen aus einer Zinn-Legierung und eine größere Bass-Pfeife, den sogenannten Bordunton, trägt. Das Register umfasst eineinhalb Oktaven und bietet nur Ganztöne.
Wenn Werkstattleiter Heinz-Günther Habbig dem "Portativ" mit Hilfe der Windlade Töne entlockt, hört sich das wie eine Blockflöte an. Der Klang wirkt auch noch etwas schwach, so als wenn einem Flötisten schnell die Puste ausgeht. Die Konstrukteure reden denn auch nicht um den heißen Brei herum und räumen ganz offen ein, dass noch großer Optimierungsbedarf besteht. "Schwachpunkt ist vor allem die Windversorgung", so Klais. Und auch die Tasten, "noch relativ grobe Klötze", rufen nach Perfektionierung.
Der Firmen-Chef hebt denn auch mehrfach hervor, dass es sich bei dem "Portativ" um ein Experiment handelt - das sich indes trotz aller Unzulänglichkeiten in jedem Falle gelohnt habe. Denn einer der Orgelbauer-Lehrlinge, die bei dem Projekt mitgemacht haben, stammt aus Venezuela. Lennar Acosta Ramirez fand nach Bonn über das venezolanische Kinder- und Jugendorchester, das sich um die Resozialisierung von Straßenkindern bemüht. Klais: "Was für eine größere Chance könnte es für einen jungen, engagierten Orgelbauer sein, als Opus 1 ein Instrument für den Kölner Dom zu schaffen?" Inzwischen hat Lennar seine Ausbildung absolviert, kümmert sich in seiner Heimat um die Orgel des Orchesters und betreibt eine eigene Werkstatt.