Eine alte Frau verkauft geflochtene Palmwedel: Es ist Passionszeit in Ägypten. Die orthodoxen Kopten bereiten sich auf Ostern vor, das am Sonntag (05.05.2013) gefeiert wurde. In der Kirche der Heiligen Jungfrau im Kairoer Vorort Maadi stehen die Menschen bis auf die Straße. Die Predigt im Inneren der Kirche wird per Lautsprecher übertragen. "Unsere Kirchen sind immer voll, das liegt daran, dass wir Ägypter gläubige Menschen sind", sagt ein Ingenieur im hellblauen Hemd: "Aber in diesen Tagen ist es noch ein bisschen voller als sonst, weil die Menschen Schutz in der Gemeinschaft suchen."
Gut zwei Jahre nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak machen sich viele Kopten Sorgen. Rund zehn Prozent der etwa 80 Millionen Einwohner Ägyptens sind Christen, die meisten von ihnen sind Kopten. Es hat schon immer Diskriminierung und auch Angriffe gegeben, doch die Gewalt nimmt zu.
"Ich bin von verschleierten Frauen beschimpft worden. Sie haben gesagt, dass ich dankbar sein soll, dass ich überhaupt in Ägypten wohnen dürfe", erzählt eine Frau. Sie trägt eine bunte Haarspange in den Locken. Das Problem sei, dass seit der Revolution und ganz besonders seit dem Amtsantritt des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi die radikalen Muslime freie Hand hätten. Nach Angriffen auf christliche Geschäfte oder gar Kirchen würden die Täter in der Regel nicht bestraft. Oft beginnt es mit einer Lappalie, so wie Anfang April in Chusus. In dem Armenviertel am Rande Kairos hatten Jugendliche Graffiti an eine islamische Schule gesprüht. Augenzeugen sagten zwar später, es habe sich gar nicht um Kreuze gehandelt und zudem seien die Sprüher keine Christen gewesen. Doch da war es schon zu spät. Sechs Menschen starben, als Muslime und Christen des Viertels aufeinander losgingen.
"Ich habe keine Angst"
Bei der Totenmesse, die zwei Tage später in Kairos zentraler Kathedrale gefeiert wurde, gab es wieder einen Toten und viele Verletzte. Yvonne Morkos von der christlichen Bewegung "Jugend von Maspero" erlebte den Vorfall mit: "Wir kamen gerade aus der Kirche heraus, wollten die Toten zum Friedhof geleiten, als wir mit Steinen angegriffen wurden." Die Angreifer hätten auf den umliegenden Gebäuden Position bezogen und mit Molotow-Cocktails geworfen. Auch Schüsse seien zu hören gewesen. "Wir vermuten, dass die Aktion von bezahlten Schlägern ausging und sich dann Anwohner dazugesellten", sagt Morkos. Ägyptische Menschenrechtler wollen unter den Angreifern bekannte Gesichter entdeckt haben. "Das waren die Schlägertruppen des Innenministeriums", sagt Mohammed Mahmud, ein Menschenrechtsanwalt.
Stefan El Kaseh und seine Frau Nadia sind die neuen Pastoren der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Kairo. Was die Situation der Christen am Nil angeht, will El Kaseh nicht von Verfolgung sprechen. "Es gibt Angriffe, und sie werden auch mehr, doch von Pogromen sind wir hier noch weit entfernt." Er warnt vor einer Einmischung aus dem Ausland: "Was Ägypten braucht, ist Unterstützung beim Aufbau demokratischer Institutionen." Die Christen Ägyptens dürften nicht von christlichen Gruppen im Westen vereinnahmt werden.
"Das führt nur dazu, dass sie von den Radikalen als Fünfte Kolonne des Westens dargestellt werden." Die Probleme zwischen Christen und Muslimen müssten in Ägypten gelöst werden. "Ich habe keine Angst", sagt ein junger Mann und schüttelt trotzig den Kopf. Die Messe in der Kirche der Heiligen Jungfrau in Maadi ist gerade vorbei, und er sitzt mit ein paar Freunden in einer Cafeteria am Nil: "Wir Christen hier in Ägypten haben schon viel erlebt. Wir werden auch diese Prüfung Gottes überstehen." Tatsächlich ist die Kirche von Maadi uralt. Sie wurde gebaut auf einer Grotte, in der die Heilige Familie Rast gemacht haben soll, als sie auf der Flucht vor Kaiser Herodes durch Ägypten zog.