"Der einzige erlaubte Extremismus für Gläubige ist die Nächstenliebe", sagte Papst Franziskus am Samstagmorgen bei der Feier in einem Stadion im Osten der ägyptischen Hauptstadt. Jegliche andere Art von Extremismus "kommt nicht von Gott und gefällt ihm nicht", so der Papst. Franziskus verlangte, eine "Kultur des Dialogs, des Respekts und der Brüderlichkeit" zu verteidigen.
Der Gottesdienst fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Weite Bereiche der Zuschauerränge blieben gesperrt. Als der Papst vor Beginn der Messe eine Rundfahrt auf einem Golfwagen durch das Stadion unternahm, schirmten ihn zwei Dutzend Sicherheitskräfte vor direkten Kontakten mit den Gläubigen weitgehend ab. Korrespondenten und Vatikanvertreter schätzten die Zahl der Gottesdienstteilnehmer auf 10.000 bis 15.000.
Glaube durch Taten stärken
Der Papst rief die ägyptischen Christen auf: "Habt keine Angst, alle zu lieben, Freunde wie Feinde, denn gelebte Liebe ist die Stärke und der Schatz des Gläubigen!" Wahrer Glaube mache die Menschen barmherziger, ehrlicher und menschlicher; er bewirke, dass man alle "ohne Unterschied und Vorzug" liebe. Glaubende sollten in anderen "nicht einen Feind, den es zu besiegen gilt, sondern einen zu liebenden Bruder" sehen.
Franziskus mahnte, den Glauben durch Taten zu bezeugen. "Für Gott ist es besser, nicht zu glauben, als ein falscher Gläubiger zu sein, ein Heuchler", so der Papst. Er erteilte zugleich menschlichem Allmachtsdenken eine Absage. "Wir können Gott nicht begegnen, ohne vorher unsere beschränkten Ideen eines Gottes, der unseren Vorstellungen von Allmacht entspricht, zu begraben", sagte er. Gott sei "die Allmacht der Liebe, der Vergebung, des Lebens".
Der Papst hielt seine Predigt auf Italienisch. Ein Sprecher trug sie abschnittsweise in arabischer Übersetzung vor. Bei dem Gottesdienst handelte es sich um die Sonntagsmesse, die der Papst ausnahmsweise schon am Samstagvormittag feierte.
Gedenken an die Anschlagsopfer
Am Freitagabend hat Franziskus in Kairo an die Opfer von Anschlägen und Gewalt erinnert: "Eure Leiden sind auch unsere Leiden, und ihr unschuldiges Blut vereint uns", sagte der Papst bei einem Treffen mit dem koptischen Patriarchen Tawadros II., dem Oberhaupt der größten christlichen Gemeinschaft Ägyptens. Der Anteil der Kopten unter den Ägyptern wird auf 10 Prozent geschätzt. Seit Ende 2010 wurden koptische Einrichtungen wiederholt zum Ziel von Attentaten islamistischer Extremisten.
Zu Beginn eines ökumenischen Gebets, an dem hohe Geistliche mehrerer christlicher Konfessionen teilnahmen, wie das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel, lasen die anwesenden Oberhirten jeweils einen Abschnitt aus den Seligpreisungen Jesu in der Bergpredigt vor. Anschließend sprachen Franziskus und Tawadros II. frei ein kurzes Gebet und tauschten mit allen Geistlichen den Friedenskuss. Danach entzündeten sie Kerzen am Anschlagsort und legten unter den Fotos der Getöteten Blumen nieder. Die Mauer der Kirche zeigt an dieser Stelle noch immer Blutspuren von Opfern des Anschlags.
Kirchen erfahren "Ökumene des Blutes"
Tawadros II. sagte, die Attentate der jüngsten Zeit hätten Wunden und Trauer hinterlassen, letztlich jedoch die Ägypter vereint. Franziskus' Besuch in Ägypten erneuere das Gespräch mit dem Islam, das der heilige Franziskus von Assisi (1181/1182-1226) dort begonnen habe. Der Patriarch würdigte zudem den ökumenischen Dialog zwischen koptischer und katholischer Kirche.
Franziskus hob in seiner Ansprache ebenfalls die seit über 40 Jahren gewachsenen ökumenischen Beziehungen zwischen den beiden Kirchen hervor. Christen hätten der Welt ihren Glauben mit der "Sprache der unentgeltlichen und konkreten Liebe" zu bezeugen. Dabei werde der Weg zur Einheit der Kirchen "auf geheimnisvolle und mehr den je aktuelle Weise auch von einer regelrechten Ökumene des Blutes getragen".
Seit den ersten Jahrhunderten hätten unzählige Christen in Ägypten ihren Glauben "bis zum Äußersten gelebt, indem sie lieber ihr Blut vergossen, als den Herrn zu verleugnen" oder auch nur der Versuchung nachzugeben, Böses mit Bösem zu vergelten, sagte der Papst. Auch durch die jüngsten Anschläge vom Palmsonntag sei "das unschuldige Blut wehrloser Gläubiger auf grausame Weise vergossen worden". Dies solle Christen ermutigen, "uns der Gewalt zu widersetzen, indem wir das Gute predigen und säen", so Franziskus.
Ökumene-Papier wurde unterzeichnet
Zum Abschluss der Begegnung unterzeichneten der Papst und der koptische Patriarch ein ökumenisches Papier, das die Leiden der Christen als "Zeichen und Werkzeug der Einheit" bezeichnet. Weiter bekräftigen Franziskus und Tawadros II., dass Gläubige bei einem Übertritt in die jeweils andere Kirche nicht erneut getauft werden sollen.
Das Dokument erinnert an die Übereinstimmungen in der Glaubenslehre, beginnend mit dem Konzil von Nizäa 325 und würdigt besonders die Gemeinsame Erklärung vom 10. Mai 1973, mit der der katholische Papst Paul VI. (1963-1978) und der koptische Patriarch Schenuda III. (1971-2012) nach jahrhundertelanger Trennung einen theologischen Dialog zwischen den beiden Kirchen eröffneten.
Die Erklärung hält fest, bis zur Kircheneinheit sei es noch ein weiter Weg. Tiefster Ausdruck der gegenseitigen Zuneigung sei das gemeinsame Gebet. Mit Blick darauf vereinbaren beide Kirchen ein gemeinsames Gebet für alle Christen in Ägypten und im Nahen Osten.
Dabei heißt es: "Die tragischen Erfahrungen und das vergossene Blut der Gläubigen, die allein wegen ihres Christseins verfolgt und getötet wurde, erinnern uns mehr denn je, dass die Ökumene des Martyriums uns eint und uns auf dem Weg zu Frieden und Versöhnung ermutigt. Denn, wie der heilige Paulus schreibt: 'Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit' (1. Korintherbrief 12,26)."
Die Geschichte der koptischen Kirche in Ägypten reicht in die frühesten Zeiten des Christentums zurück. In der heute mehrheitlich muslimischen ägyptischen Gesellschaft bilden sie die größte christliche Gemeinschaft. Ihr Bevölkerungsanteil wird auf etwa 10 Prozent geschätzt.
Abschlusstermin
Papst Franziskus hat katholischen Priestern und Ordensleuten in Ägypten Mut zugesprochen. "Habt keine Angst vor der Last des Alltags, vor der Last der schwierigen Umstände, die einige von euch ertragen müssen", sagte er am Samstagnachmittag im koptisch-katholischen Priesterseminar in Kairo. "Inmitten vieler Herausforderungen und oft unter geringem Trost" vollbrächten sie als katholische Minderheit in Ägypten täglich viel Gutes.
Das Treffen auf dem Sportplatz des Seminars war von hohen Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Wie zuvor bei einer Messe im Stadion der ägyptischen Luftwaffe im Osten Kairos schirmten zahlreiche Personenschützer den Papst ab, als er die nach Veranstalterangaben rund 1.500 Teilnehmer mit einer Rundfahrt in einem Golfwagen begrüßte. Einigen gelang es dennoch, ein Kleinkind zum Segnen oder einen Becher Mate-Tee anzureichen.
Franziskus rief die Ordensleute, Seminaristen und Kleriker auf, "Aussäer der Hoffnung, Brückenbauer und Arbeiter des Dialogs und der Eintracht" zu sein. Auf die teilweise schwierige Lage der katholischen Minderheit in Ägypten ging er nicht konkreter ein, betonte jedoch: "Wer vor dem Kreuz wegläuft, läuft vor der Auferstehung weg." Er mahnte die Katholiken, auch «inmitten vieler Propheten der Zerstörung» eine positive Kraft der Gesellschaft zu sein. Sie dürften nicht ihre Identität als Kopten und Katholiken verlieren.
Der Papst gab seinen Zuhörern auch konkrete Empfehlungen mit. Geistliche sollten führen, statt sich mitreißen zu lassen, und auf Klagen, Geschwätzigkeit, Neid und Vergleiche mit anderen verzichten. Auch Geltungsbedürftigkeit, Überheblichkeit sowie Individualismus und Egoismus erteilte er eine Absage. Er mahnte die Geistlichen, nicht "das Herz zu verhärten und sich gegenüber dem Herrn sowie den Brüdern und Schwestern zu verschließen". Immer wieder gab es kurzen Applaus für die Worte des Papstes.
Der Besuch in dem Seminar im Süden der ägyptischen Hauptstadt war der letzte offizielle Programmpunkt der zweitägigen Reise von Franziskus.