Fast fünf Jahre nach dem Unglück sollten sie nicht "der Verzagtheit nachgeben angesichts der Schwierigkeiten, die noch bleiben", sagte er bei einem Besuch in der Kleinstadt Mirandola am Sonntag. Er sei gewiss, dass es am guten Willen aller Beteiligten nicht fehlen werde, um eine rasche Umsetzung der nötigen Arbeiten sicherzustellen.
Franziskus sagte, er wisse um die Schäden am "menschlichen und kulturellen Erbe". Vor allem aber denke er an die "inneren Wunden" derer, die durch das Beben Angehörige oder ihr Lebenswerk verloren hätten. "Die Narben bleiben", sagte der Papst. Aber auch in schmerzlichen Ereignissen sollten Gläubige die "geheimnisvolle Gegenwart" eines liebenden Vaters erkennen und annehmen.
Blumen in Vatikan-Farben
Durch die Serie von Erdstößen zwischen dem 20. und 29. Mai 2012 hatten in der Region Emilia-Romagna 27 Menschen ihr Leben verloren. Nach einem amtlichen Bericht waren vier Jahre nach dem Beben von rund 16.550 obdachlos gewordenen Familien 2.900 noch nicht wieder in ihr altes Zuhause zurückgekehrt, 135 Familien lebten noch in Behelfsunterkünften. Die Kosten für den Wiederaufbau allein der öffentlichen und religiösen Gebäude waren auf 1,664 Milliarden Euro veranschlagt worden; davon fehlten im Mai 2016 noch 605 Millionen.
Zu Beginn seines Besuchs betrat der Papst den mit Gerüsten gesicherten Dom von Mirandola und legte einen schlichten Blumenstrauß in den Vatikan-Farben Gelb und Weiß auf dem Altar nieder. Das Gotteshaus aus dem 15. Jahrhundert ist seit dem Beben vom Mai 2012 noch immer unbenutzbar. Die auf dem Vorplatz versammelten Menschen reagierten auf die Worte des Papstes sichtlich bewegt. Viele weinten, als er an die Verluste bei dem fünf Jahre zurückliegenden Unglück erinnerte.
Messe in Carpi - Dank an Helfer
Franziskus begab sich weiter in das Dorf San Giacomo Roncole südlich von Mirandola und legte am Denkmal für die Opfer des Erdbebens einen Kranz nieder. Anschließend flog er zurück in den Vatikan. Am Vormittag hatte er in der Bistumsstadt Carpi eine Messe gefeiert und für den gelungenen Wiederaufbau nach dem Erdbeben von 2012 gedankt.
Statt in den Trümmern des Lebens gefangen zu bleiben, gelte es mit Gottes Hilfe aus dem Schutt aufzustehen und mit geduldiger Hoffnung neu aufzubauen, sagte er bei einem Gottesdienst auf dem Domplatz. Die Kathedralkirche war nach der Beseitigung der Erdbebenschäden am 25. März wiedereröffnet worden.
"Vor Aufregung nichts gegessen"
Der Messe bei regnerischem Wetter wohnten mehrere Tausend Menschen bei. Mutmaßlich älteste Teilnehmerin war die 103-jährige Desdemona Lugli, die laut dem italienischen Fernsehen bekannte, sie habe "gestern vor Aufregung nichts gegessen". Im Dom traf Franziskus mit Kardinal Carlo Caffarra zusammen, dem emeritierten Erzbischof von Bologna. Das vatikanische Presseamt verbreitete ein Foto, das die beiden in Umarmung zeigt.
Caffarra gehört zu den vier Kardinälen, die von Franziskus im November öffentlich eine Klarstellung seiner Aussagen zu wiederverheirateten Geschiedenen verlangten. An der Eucharistiefeier in Carpi nahm der 78-jährige Caffarra als Konzelebrant teil.
Der Bischof von Carpi, Francesco Cavina, erinnerte in seinem Grußwort an das NS-Opfer Odoardo Focherini, einen katholischen Bürger der Stadt, der von 1942 an die Rettung von Juden organisierte und 1944 selbst nach Deutschland überführt wurde, wo er im Konzentrationslager Hersbruck an den Folgen einer Verletzung starb. Focherini erhielt vom Staat Israel die Auszeichnung als "Gerechter unter den Völkern". 2013 wurde er als Märtyrer seliggesprochen.
Bürgermeister Alberto Bellelli schenkte dem Papst einen Stein aus dem ehemaligen Durchgangslager Fossoli. Das Lager nördlich von Carpi diente ab 1943 als Internierungsort für italienische Oppositionelle und Juden. Nach dem Krieg wurden dort Flüchtlinge untergebracht.
"Wege des Lebens" gegen "dunkle Grotten"
Papst Franziskus mahnte in seiner Predigt, sich nicht von Pessimismus und Traurigkeit einschließen zu lassen. Das "Geheimnis des Leidens" gehöre zum Leben. Auch Christen stünden in der Versuchung, "in Angst zu versinken und zu grübeln, die eigenen Wunden zu lecken". Resigniert zu wiederholen, "dass alles schlecht läuft und nichts ist wie früher", schaffe jedoch "eine Grabesatmosphäre", so der Papst.
Angesichts der großen "Warum"-Fragen des Lebens stünden Gläubige vor der Wahl, "schwermütig auf die Gräber von gestern und heute zu blicken oder Jesus zu unseren Gräbern zu führen". Jeder habe "ein kleines Grab" in sich, sagte der Papst: "eine Wunde, ein erlittenes oder begangenes Unrecht, einen Groll, der keine Ruhe gibt, ein wiederkehrendes Schuldgefühl, eine Sünde, die sich nicht überwinden lässt". Statt allein in "den dunklen Grotten zu bleiben, die wir in uns haben", sollten Christen sich von Jesus "Wege des Lebens eröffnen" lassen, sagte Franziskus.