Nur ein Stuhl trennt Papst Franziskus in Kasachstan vom Chef der russisch-orthodoxen Delegation. Beim Weltkongress der Religionen in Nur-Sultan sitzt Israels sephardischer Oberrabbiner Jitzhak Josef zwischen Papst Franziskus und dem russischen Metropoliten Antonij. Sein Chef, Moskaus Patriarch Kyrill I., ist nicht nach Kasachstan gereist.
Trotzdem gibt es an diesem zentralasiatischen "Ort der Begegnung", wie Franziskus mehrfach betont, Raum für eben solche. Der Dialogfaden soll nicht abreißen. Das sagt Franziskus; das sagt Metropolit Antonij. Doch wie, wann und wo auch einmal auf höchster Ebene gesprochen werden könnte, bleibt offen. Zumal es beim Kongress eher Monologe als Dialoge der Religionsführer gibt.
Papst fordert ehrlichen Dialog
"Möge Kasachstan wieder ein Land der Begegnung zwischen denen werden, die weit entfernt voneinander sind", appelliert der Papst am Mittwoch in Nur-Sultan. Es ist eine lange, eindringliche Rede. Es geht ihm nicht um irgendeinen Dialog. Er soll ehrlich sein, geschwisterlich, auf Zusammenarbeit abzielen. Religionen spielten eine entscheidende Rolle - als Friedensstifter. Religionen seien nicht das Problem, sondern Teil der Lösung "im Geist der Geschwisterlichkeit", sagt Franziskus. "Gott ist Frieden und führt immer zu Frieden, niemals zum Krieg."
Seit 2003 lädt Kasachstans Regierung alle drei Jahre zum "Kongress der Führer der Welt- und traditionellen Religionen" in seine futuristisch anmutende Hauptstadt. Es begann einst als Reaktion auf den islamistischen Terroranschlag vom 11. September 2001. Am Mittwoch und Donnerstag findet das Treffen mit etwa 100 Delegationen aus 50 Ländern zum siebten Mal statt. Gastgeber ist Kassym-Schomart Tokajew, seit 2019 autoritärer Präsident der zentralasiatischen Republik. Für das multireligiöse Land ist es ein Aushängeschild, dass Religionsvertreter aus aller Welt in die Steppe reisen.
Erstmals Papst bei Treffen
Mit Franziskus nimmt erstmals ein Papst an dem interreligiösen Treffen teil. Auch der ranghöchste sunnitische Geistliche, Großscheich Ahmed al-Tayyib von der Al-Azhar-Moschee in Kairo, sitzt am runden Tisch im Palast der Unabhängigkeit. Zur Begrüßung geben er und Franziskus sich einen brüderlichen Kuss auf die Wange. In seiner Ansprache dreht es sich bei al-Tayyib dann erstaunlich wenig um Dialog und viel um verwerfliche sexuelle Freiheiten von Frauen.
Unweit der beiden sitzen Oberrabbiner Josef sowie sein aschkenasischer Kollege David Lau. Vertreter des Buddhismus, Hinduismus, Shintoismus und Taoismus sind ebenfalls dabei.
Und dann ist da Metropolit Antonij. Der junge Außenbeauftragte des Moskauer Patriarchats kennt Franziskus und den Vatikan gut. Er war lange in Rom stationiert. Im Kongressraum, der mit seinem riesigen kreisförmigen Tisch an einen Science-Fiction-Film erinnert, verließt er eine Botschaft von Kyrill. Darin beklagt dieser eine "falsche Darstellung historischer Ereignisse". Auch gebe es im öffentlichen Raum immer mehr Worte des Hasses gegen ganze Völker, Kulturen und Religionen. "Der von einigen Regierenden in dieser Welt gewählte Kurs von Diktatur, Rivalität und Konfrontation ist ein Beitrag zur Zerstörung der Menschheit", so Kyrill wörtlich. Adressat unbekannt.
Botschaft von Kyrill
Antonij ergänzt, dass es immer einfacher geworden sei, Informationen zu manipulieren. Die jüngsten Ereignisse hätten gezeigt, "wie leicht es geworden ist, ein Feindbild zu schaffen", so der Metropolit. Man zeige mit dem Finger auf andere und rufe zu Hass auf.
Nachdem die Religionsvertreter ihre Positionen dargelegt haben, finden bilaterale Gespräche statt. Franziskus trifft Antonij. Wie dieser danach berichtet, bleibt ein Treffen von Kyrill und Papst denkbar und "sehr wichtig" für die russische Seite. Doch am Ende müsse eine gemeinsame Erklärung, ein Appell stehen, so wie beim ersten Treffen der beiden auf Kuba 2016, bekräftigt Antonij. "Hoffen wir, dass es eines Tages die Möglichkeit für dieses Treffen gibt."
Auch der Ökumene-Beauftragte des Vatikan, Kurienkardinal Kurt Koch, hält ein Treffen weiter für erstrebenswert. "Sonst hat man überhaupt keine Möglichkeiten mehr, miteinander im Gespräch zu sein und nach Lösungen zu suchen in dieser schwierigen, verfahrenen Situation", so Koch. "Man darf das Tischtuch nicht durchschneiden."
Doch wann? Diese Frage bleibt offen. Auf dem Kongress stehen zunächst die einzelnen Positionen im Vordergrund. Am Beginn sei es normal, dass jeder seine Position vertrete, erklärt Kardinal Koch.
Entscheidend sei, dass daraus ein Dialog entstehe und es nicht eine "Summe an Monologen" bleibe.