Der Ratzinger-Biograph Peter Seewald plädiert für einen differenzierten Blick in Deutschland auf den verstorbenen Papst Benedikt XVI. Auf Joseph Ratzinger treffe das Bibelwort zu, dass ein Prophet nirgends weniger gelte als in seiner Heimat, sagte Seewald am Montag im Deutschlandfunk.
"Wir übersehen, dass er eine riesige Anhängerschaft hat", kritisierte der Journalist und Autor. Ratzinger sei der meistgelesene Theologe der Neuzeit weltweit. Es gebe keinen zeitgenössischen Deutschen, der ihm an Bedeutung gleichkäme.
Lob mit kritischem Blick
Auch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965), an dem Ratzinger zunächst als Berater des Kölner Kardinals Josef Frings und ab 1963 als vom Papst berufener Konzilsberater teilnahm, habe er wesentlich beeinflusst, erklärte Seewald. "Ohne Ratzinger wäre das Konzil, so wie wir es kennen, gar nicht möglich gewesen."
Kritik an Ratzinger bezüglich der Aufarbeitung von Missbrauch in der katholischen Kirche kann Seewald nachvollziehen. Der Missbrauchsskandal sei einer der größten der Kirchengeschichte. Es sei also durchaus angebracht, einen kritischen Blick auf Ratzinger und seine verschiedenen Ämter auf Entscheidungsebenen innerhalb der Kirche zu werfen. Es gebe große Versäumnisse, gleichzeitig sei Ratzinger aber auch jemand gewesen, der das Thema angepackt habe.
Nicht nur Einzelheiten betrachten
Seewald rief dazu auf, Ratzingers Leben und Werk als Ganzes zu betrachten. Bei einem Menschen mit einer Jahrhundertbiografie dürften nicht nur einzelne Zitate rausgepickt werden. "Dann werden wir weder der Person noch dem Werk gerecht", so der Biograph. Die mediale Darstellung seiner Person unterscheide sich sehr von Beschreibungen nach persönlichen Begegnungen.
Benedikt XVI. war am Samstag im Alter von 95 Jahren in seiner Wohnung im Vatikan gestorben. Er war von 2005 bis 2013 Oberhaupt der katholischen Kirche und damit der erste deutsche Papst seit 482 Jahren.