"Das Schlimmste ist, wenn dich die Familie fallen lässt. Wenn du von der Familie verstoßen wirst, dann hast du niemanden mehr", sagt Raul. Der 31-Jährige sitzt im Rollstuhl, eine Folge seiner HIV-Infektion. Am Sonntag wird er Papst Franziskus treffen, um ihm zu berichten: aus seinem Leben, von seinem Absturz, seiner Rettung. Die hält der Klinikpsychologe Seul Serrano in seinen Händen: zwei weiße Schachteln mit Medikamenten, die Aids zwar nicht heilen, aber eben kontrollierbar machen.
"Sie wollten mit mir nichts mehr zu tun haben"
Raul ist Angehöriger der Ureinwohner in Panama. Jetzt lebt er mit 17 alleinstehenden Aids-Kranken unter dem Dach der Stiftung «Haus des guten Samariters» im Viertel Juan Diaz in Panama-Stadt. Die wird am Sonntag auch Papst Franziskus besuchen. Ein Zeichen, eine Geste, die herbeigesehnt wird von den Aids-Kranken, den Ausgeschlossenen und Ausgegrenzten. Denn Aids nennen viele Menschen im Land die "rosa Krankheit", weil sie von Drogenabhängigen, von Homosexuellen komme, so der weitverbreitete Glaube.
Das macht die Infizierten zu Ausgestoßenen. Raul erzählt von seinem Leben. Davon, dass er ein paar schlechte Entscheidungen getroffen, dann falsche Freunde gehabt habe. Irgendwann stellte er fest: Er hat Aids. Er verlor seinen Arbeitsplatz, den Freundeskreis, bis auf die Schwester den Zugang zur ganzen Familie. Die Schwester, der letzte Kontakt zur Außenwelt, half ihm, in die Einrichtung des engagierten Paters Domingo Escobar zu kommen. Runter von der Straße, raus aus der Abwärtsspirale.
In seiner indigenen Gemeinde war die Reaktion ähnlich wie im Rest der Gesellschaft: "Sie wollten mit mir nichts mehr zu tun haben." Aids-Kranke stehen in der Hierarchie der Ureinwohner ganz unten. "Das ist ein Tabu-Thema", sagt Psychologe Serrano in der Einrichtung in Juan Diaz. Die Indigenen lehnen den Einsatz von Kondomen mit der Begründung ab, niemand solle ihre Bevölkerungsentwicklung kontrollieren können.
Dem Papst danken für seinen Besuch
Im "Haus des guten Samariters" wird den Patienten geholfen, unter anderem mit den enorm teuren Medikamenten für rund 100 Dollar am Tag. Das Geld können die Kranken niemals aufbringen - aber es gibt Spenden und Unterstützer. Vor allem aber Menschenwürde. "Dass mich jemand in den Arm nimmt und keine Angst hat, sich dabei anzustecken, kenne ich eigentlich gar nicht", sagt Bewohnerin Linet leise. Laut ist hingegen die Botschaft der 21-Jährigen an die Jugendlichen aus Deutschland: "Passt auf euch auf und schützt andere. Das Leben ist wertvoll!"
Mit Hilfe des vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützten Projektes konnte Linet eine gesunde Tochter zur Welt bringen, ihren eigenen Gesundheitszustand stabilisieren und Lesen und Schreiben lernen. Gefragt nach ihren Träumen, nennt sie drei: irgendwann wieder gesund für ihre Tochter da sein zu können; dass es bessere Präventionsprogramme gibt, damit sich nicht mehr so viele Frauen infizieren, und dass das Wohnheim größer wird und damit mehr Menschen geholfen werden kann. Das ist auch der Ansatz von Adveniat; das Hilfswerk investiert viel in Bildung und Prävention.
Raul will bei seinem Treffen dem Papst danken für seine Geste, die die Aids-Kranken rausholen soll aus der gesellschaftlichen Isolierung. Er will ihn bitten, sich für jene einzusetzen, die ganz unten in der Hierarchie stehen. Mit dem Besuch von Franziskus ist dafür ein Anfang gemacht. Vielleicht zum ersten Mal werden Aids-Patienten in Panama als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu sehen sein. Das kann aber nur der erste Schritt sein. Viele weitere müssen folgen.
Von Tobias Käufer