Nach seiner Behandlung im Krankenhaus hat Papst Franziskus den ersten öffentlichen Gottesdienst gefeiert. Auf dem Petersplatz in Rom stand er der Messe zum Palmsonntag vor. Der 86-Jährige wurde mit dem Papamobil auf den Platz gefahren. Auf die traditionelle Prozession zu Beginn der Feier, bei der Palmzweige in Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem auf den Platz gebracht werden, verzichtete der Pontifex.
Bei den Gläubigen in Rom und auf der Welt bedankte sich Franziskus für deren Gebete und Genesungswünsche während seiner Zeit im Krankenhaus. "Ich danke euch für eure Anteilnahme und auch für eure Gebete, die ihr in den vergangenen Tagen nochmals verstärkt habt. Vielen Dank", sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche bei der Messfeier. Daraufhin applaudierten die Tausenden anwesenden Gläubigen. Der 86-Jährige war wegen einer Bronchitis im Krankenhaus behandelt worden und erst am Samstag wieder in den Vatikan zurückgekehrt.
Erinnerung an deutschen Obdachlosen
Seine Predigt verlas Franziskus sitzend mit zunächst schwacher, dann aber zunehmend fester Stimme. Er predigte über den letzten Ausruf Jesu am Kreuz, der im Matthäusevangelium mit den Worten überliefert ist: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
Der Papst führte aus, dass diese dramatische Erfahrung des Verlassenseins bis heute viele Menschen betreffe. "Es gibt ganze Völker, die ausgebeutet und sich selbst überlassen werden; es gibt arme Menschen, die an den Kreuzungen unserer Straßen leben und deren Blicken wir nicht zu begegnen wagen; Migranten, die keine Personen mehr sind, sondern Nummern; abgewiesene Gefangene, Menschen, die als Probleme katalogisiert werden."
Abweichend vom Manuskript erinnerte Franziskus auch an einen deutschen Obdachlosen, der vor einigen Wochen in den Kolonnaden des Petersplatzes einsam und verlassen gestorben war. Über sich selbst sagte der Papst: "Auch ich brauche die Zärtlichkeit Jesu, dass er sich mir zuwendet, und deshalb suche ich ihn in den Verlassenen und
den Einsamen."
Spritztour über die Via della Conciliazione
Beim Angelusgebet im Anschluss an den Gottesdienst war die Stimme des Papstes wieder schwach und heiser. Franziskus erinnerte bei dieser Gelegenheit erneut an das Leiden des ukrainischen Volkes im Krieg und
rief zum Gebet für den Frieden auf. Nach dem Schlusssegen ließ sich der Papst im Rollstuhl zu den auf ihn
wartenden Kardinälen fahren und schüttelte vielen von ihnen die Hand. Mit dem deutschen Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller wechselte er einige Worte. Anschließend fuhr er im offenen Papamobil winkend und segnend durch die jubelnde Menschenmenge auf dem Petersplatz.
Überraschend ließ er sich dann auch noch auf die von Touristen und Pilgern überfüllte Via della Conciliazione fahren, wo ihm Tausende zuwinkten, während er im Schritttempo an ihnen vorbeifuhr, bevor er in den Vatikan zurückkehrte.
Predigt im Wortlaut
"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mt 27,46). Das ist die Anrufung Gottes, die uns die Liturgie heute im Antwortpsalm hat wiederholen lassen (vgl. Ps 22,2), und es ist die einzige, die Jesus im eben gehörten Evangelium am Kreuz ausgesprochen hat. Es sind also die Worte, die uns in die Mitte der Passion Christi führen, zum Höhepunkt der Leiden, die er ertragen hat, um uns zu retten. "Warum hast du mich verlassen?"
Die Leiden Jesu waren so viele, und jedes Mal, wenn wir die Passionsgeschichte hören, berühren sie uns zutiefst. Es waren körperliche Leiden: die Schläge, die Geißelung, die Dornenkrone, die Marter des Kreuzes. Es waren seelische Leiden: der Verrat durch Judas, die Verleugnung durch Petrus, die Verurteilungen von religiöser und weltlicher Seite, die Verspottung durch die Wachen, die Beleidigungen unter dem Kreuz, die Ablehnung durch so viele, das gänzliche Scheitern, das Verlassenwerden durch die Jünger.
Doch in all diesem Schmerz blieb Jesus eine Gewissheit: die Nähe des Vaters. Doch nun geschieht das Undenkbare; bevor er stirbt, schreit er: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Die Verlassenheit Jesu.
Dies ist das schmerzhafteste Leiden, das ist das geistliche Leiden: In der tragischsten Stunde erlebt Jesus das Gefühl von Gott verlassen zu sein. Nie zuvor hatte er den Vater mit dem allgemeinen Namen Gott angerufen. Nie! Vater... Das reale Ereignis ist die extreme Erniedrigung, das heißt das Verlassensein durch seinen Vater, das Verlassensein durch Gott. Der Herr leidet aus Liebe zu uns so sehr, dass es für uns schwierig ist, es überhaupt zu begreifen... Er sieht den Himmel verschlossen, er erlebt die bittere Grenze des Lebens, den Schiffbruch der Existenz, den Zusammenbruch jeder Gewissheit: er schreit dieses „Warum“ schlechthin. Aber warum? Du, Gott – warum?
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das Verb „verlassen“ ist in der Bibel ein starkes Wort; es taucht in Momenten extremen Schmerzes auf: bei gescheiterter, zurückgewiesener und verratener Liebe; bei verstoßenen und totgeborenen Kindern; in Situationen der Ablehnung, des Witwen- und des Waisendaseins; bei ermüdeten Ehen, beim Ausgeschlossensein von sozialen Beziehungen, bei Unterdrückung durch Ungerechtigkeit und bei Einsamkeit aufgrund von Krankheit: kurz gesagt, bei einem besonders drastischen Zerreißen von Beziehungen. Hier fällt dieses Wort: verlassen. Christus hat dies mitgenommen ans Kreuz, indem er die Sünde der Welt auf sich genommen hat. Und schließlich erlebte er, der eingeborene und geliebte Sohn, diese ihm absolut fremde Situation: die Gottesverlassenheit, die Gottesferne.
Warum ist er so weit gegangen? Für uns - es gibt keine andere Antwort. Für uns. Brüder und Schwestern, das ist kein Spektakel heute. Jeder von uns, der von der Verlassenheit Jesu hört, möge sich sagen: Für mich! Diese Verlassenheit, das ist der Preis, den er für mich bezahlt hat. Er hat sich bis zum Äußersten mit jedem von uns solidarisiert, um bis zum Äußersten bei uns zu sein. Er durchlebte die Verlassenheit, um uns nicht als Geiseln der Verzweiflung zurückzulassen und um für immer an unserer Seite zu bleiben.
Er hat es für mich getan, für dich, damit es ein bisschen Hoffnung gibt, wenn ich, du oder irgendjemand anders erlebt, dass er mit dem Rücken zur Wand steht..., dass er sich in einer Sackgasse verirrt hat, dass er in den Abgrund der Verlassenheit gestürzt ist oder in den Strudel so vieler „Warums“ ohne Antwort hineingezogen wurde. Er - für dich, für mich. Es ist nicht das Ende, denn Jesus ist dort gewesen und jetzt ist er bei dir: Er hat die Ferne der Verlassenheit erlitten, um in seiner Liebe all unser Fernsein aufzunehmen. Damit jeder von uns sagen kann: In meinem Hinfallen..., in meiner Verzweiflung, wenn ich mich verraten..., verstoßen und verlassen fühle..., denken wir an Ihn, der verlassen, verraten, verstoßen war. Hier finden wir Ihn. Wenn ich mich verirrt und verloren fühle, wenn meine Kräfte versagen, ist Er bei mir, Er ist da...
So rettet uns der Herr, aus dem Inneren unserer „Warum“-Fragen. Von dort aus eröffnet er uns die Hoffnung, die nicht enttäuscht. Denn als er am Kreuz die äußerste Verlassenheit erlebt, überlässt er sich nicht der Verzweiflung..., sondern er betet und vertraut. Er schreit sein „Warum“ mit den Worten eines Psalms (22,2) heraus und überlässt sich den Händen des Vaters, auch wenn er das Gefühl hat, dieser sei weit weg (vgl. Lk 23,46)... In der Verlassenheit vertraut er. In der Verlassenheit liebt er weiterhin die Seinen, die ihn allein gelassen hatten. In der Verlassenheit vergibt er denen, die ihn ans Kreuz gebracht hatten (V. 34). Hier wird der Abgrund unserer vielen Bosheiten in eine größere Liebe getaucht, so dass all unsere Spaltung in Gemeinschaft verwandelt wird.
Schwestern und Brüder, eine solche Liebe, ganz für uns, bis zum Letzten..., kann unsere Herzen aus Stein in Herzen aus Fleisch verwandeln. Es ist eine Liebe, die zu Mitleid, Zärtlichkeit und Mitgefühl fähig ist. Und das ist der Stil Gottes: Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit. So ist Gott! Der verlassene Christus bewegt uns dazu, ihn in den Verlassenen zu suchen und zu lieben. Denn bei ihnen handelt es sich nicht allein um Bedürftige, sondern auch um ihn..., den verlassenen Jesus, denjenigen, der uns gerettet hat, indem er bis in die Tiefen unseres Menschseins hinabgestiegen ist. Er ist mit jedem von ihnen, die bis zum Tod verlassen sind...
So viele Verlassene brauchen unsere Nähe! Auch ich brauche es, dass Jesus mich streichelt und sich mir nähert, und darum suche ich ihn in den Verlassenen, in den Einsamen. Er möchte, dass wir uns um die Brüder und Schwestern kümmern, die ihm in seinem extremen Schmerz und in seiner Einsamkeit am ähnlichsten sind... Es gibt so manchen „verlassenen Christus“. Es gibt ganze Völker, die ausgebeutet und sich selbst überlassen werden; es gibt arme Menschen, die an den Kreuzungen unserer Straßen leben und deren Blicken wir nicht zu begegnen wagen; Migranten, die keine Personen mehr sind, sondern Nummern; abgewiesene Gefangene, Menschen, die als Probleme katalogisiert werden.
Aber es gibt auch so manchen verlassenen Christus, der unsichtbar ist und versteckt und mit weißen Handschuhen aussortiert wird: ungeborene Kinder, ältere Menschen, die allein gelassen werden (dein Vater, deine Mutter vielleicht, der Opa, die Oma, verlassen im Altersheim), Kranke, die nicht besucht werden, Behinderte, die ignoriert werden, junge Menschen, die eine große Leere in sich verspüren, ohne dass jemand wirklich ihren Schmerzensschrei hört. Und sie sehen keinen anderen Weg als den Selbstmord... Die Verlassenen von heute. Die Christusse von heute.
Und der verlassene Jesus fordert uns auf, Augen und ein Herz für die Verlassenen zu haben. Für uns, die Jünger des verlassenen Herrn, darf niemand ausgegrenzt und niemand sich selbst überlassen werden; denn – denken wir daran – die Abgelehnten und Ausgeschlossenen sind lebendige Bilder Christi, sie erinnern uns an seine verrückte Liebe, an seine Verlassenheit, die uns aus aller Einsamkeit und Trostlosigkeit rettet.
Brüder und Schwestern, bitten wir heute um diese Gnade: Den verlassenen Jesus lieben zu können und Jesus in jedem verlassenen Menschen lieben zu können. Bitten wir um die Gnade, den Herrn sehen und erkennen zu können, der noch immer in ihnen schreit. Lassen wir nicht zu, dass sich seine Stimme in der ohrenbetäubenden Stille der Gleichgültigkeit verliert. Wir sind von Gott nicht allein gelassen worden; kümmern wir uns um jene, die allein gelassen werden. Dann, nur dann, werden wir uns die Wünsche und Gefühle dessen zu eigen machen, der sich um unseretwillen "entäußerte" (Phil 2,7). Er entäußerte sich vollkommen, für uns.