domradio.de: Herr Kardinal, Papst Franziskus wird immer wieder gerne als "Eisbrecher" bezeichnet, kann man das auch auf die Ökumene beziehen?
Kardinal Koch: Nein, ich glaube, zunächst einmal steht Papst Franziskus in einer großen Kontinuität mit seinen Vorgängern, die ja alle ein offenes Herz für die Ökumene gehabt und Türen geöffnet haben. Papst Franziskus öffnet ein bisschen andere Türen als bisher, weil er aus Lateinamerika kommt und da schon einen guten Kontakt hatte mit evangelikalen, pentecostalischen Bewegungen. Das öffnet uns da einige Türen.
domradio.de: Sie erwähnten gerade schon die neuen Schwerpunkte, die der Papst setzt. Bei Benedikt XVI. waren es die Kirchen der Orthodoxie, die Ostkirchen, jetzt geht es um die Evangelikalen. Wie zeichnen sich diese Kirchen aus, und wo liegt da die Schwierigkeit im Dialog?
Kardinal Koch: Papst Benedikt XVI. ging es nicht nur um die Orthodoxen, sondern genauso sehr ernsthaft um die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen. Bei den evangelikalen, pentecostalischen Bewegungen gibt es einige Gruppierungen, die sind recht antikatholisch und antiökumenisch. Sie haben einige Vorurteile gegenüber der Katholischen Kirche. Weil der Papst nun aber so ein offenes Herz hat und vielen auch begegnet und sie einlädt, können solche Vorurteile überwunden werden. Das eröffnet uns neue Türen für neue Dialoge.
domradio.de: Der damalige Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, nach seinem ersten Treffen mit Papst Franziskus geradezu von ihm geschwärmt. Ist das seine lateinamerikanische Art, diese Herzlichkeit, die Franziskus hier spielen lässt?
Kardinal Koch: Es ist eine völlig andere Persönlichkeit. Viele, die Papst Benedikt besucht haben, haben ja ebenfalls von Herzlichkeit gesprochen, es ist eine andere Herzlichkeit. Er kommt aus einem anderen kulturellen Kontext. Es ist diese Offenheit, und ich glaube davon darf man auch überrascht sein. Viele haben Vorurteile gehabt gegenüber einem Papst aus Lateinamerika. Es wurde befürchtet, Franziskus werde in unseren Breitengraden nicht viel bringen für die Ökumene. Mittlerweile sind hoffentlich alle vom Gegenteil überzeugt worden. Papst Franziskus kennt die Orthodoxie, die Orientalischen Kirchen aber auch die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen sehr gut. Er hat persönliche Erfahrungen auch in Buenos Aires gehabt. Ihm liegen diese Dialoge sehr am Herzen. Was für ihn vielleicht typisch ist: Er setzt einen sehr starken Akzent auf den Dialog der Liebe, die Pflege der Freundschaften, der Beziehungen. Und er sagt, die theologischen Dialoge seien manchmal schwierig, das dürfe uns nicht daran hindern, zusammen zu arbeiten, zusammen Zeugnis abzulegen für Jesus Christus in dieser Welt.
domradio.de: Was sind im Augenblick die großen Baustellen in Sachen Ökumene?
Kardinal Koch: Das hängt sehr davon ab, mit welchen Gemeinschaften man im Kontakt ist. Wir haben im Grunde genommen zwei Abteilungen, die Abteilung Ost und die Abteilung West. In der Abteilung Ost läuft der Dialog mit allen orthodoxen, orientalisch-orthodoxen Kirchen. Da steht natürlich die kruziale Frage des Petrusamtes im Vordergrund: Also die Frage des Primats des Bischofs von Rom für eine künftige Einheit zwischen Ost und West.
Bei den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sind es ganz andere Herausforderungen. Im gesamten Weltprotestantismus gibt es keine Tendenz mehr in Richtung Einheit untereinander. Da gibt es eine ungeheure Fragmentierung. Es entstehen immer wieder neue Kirchen.
Die zweite große Herausforderung ist, dass man kaum mehr wirklich Konsens hat über das Ziel der Ökumene, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Das ist eine schwierige Frage, denn wenn ich hier in Köln in den Zug einsteige und nicht weiß wohin, dann muss ich mich nicht wundern, wenn ich nicht in Berlin sondern in Basel ankomme. Wir müssen uns immer wieder neu darauf besinnen, wohin die Reise gehen soll.
Und das dritte Problem ist, dass auf ethischem Gebiet immer neue Divergenzen aufkommen: Während der 80er und 90er Jahre hat man in der Ökumenischen Bewegung den Slogan geprägt "Glauben trennt - Handeln eint". Heute müsste man eigentlich das Umgekehrte sagen. Wir haben viele Glaubensfragen vertiefen können, es entstehen neue Divergenzen auf ethischem Gebiet. Vor allem bioethische Fragen, aber auch bei den Themen Familie, Ehe, Sexualität, Gender. Das ist eine ganz große Herausforderung, denn wenn die Christen zu den zentralen Fragen in der heutigen Gesellschaft nicht mit einer Stimme sprechen können, wird die christliche Stimme immer schwächer.
domradio.de: Ein großes Projekt ist die Kurienreform, die Franziskus vorantreibt. Da soll es in der Kurie Widerstände geben. In seiner Weihnachtsansprache vor der Kurie hat Franziskus zudem harte Worte für die Kurienmitglieder gefunden. Wie nehmen Sie das wahr?
Kardinal Koch: Ich glaube, die Ansprache und viele Aussagen, die er macht, weisen darauf hin, dass eine spirituelle Reform viel wichtiger ist, als eine strukturelle Reform. Dass jeder, der in der Kurie arbeitet, sich neu wieder dessen bewusst wird, dass er im Dienst der Kirche steht, dass er im Dienst des Papstes und im Dienst der Ortskirchen steht. Also nicht der Kontrolleur der Ortskirchen ist, sondern in ihrem Dienst steht. Das scheint mir sehr wichtig zu sein. Was die strukturellen Reformen betrifft, da gibt es verschiedene Meinungen. Ich kenne niemanden, der gegen eine Reform ist, aber es gibt natürlich eine Diskussion darüber, wie diese Reform durchgeführt werden soll, wo die Akzente gesetzt werden sollen. Aber ich würde da nicht von einer Opposition gegenüber dem Papst reden.
domradio.de: Wenn Sie mit Franziskus über Ökumene sprechen, sind Sie da auf der gleichen Wellenlänge? Oder gibt es auch Differenzen?
Kardinal Koch: Nein, er hat natürlich die höhere Wellenlänge, ich stehe nur in seinem Dienst. Wir verstehen uns sehr gut, er hat ein offenes Herz für die Einheit der Christen - das Zusammengehen, das Zusammenarbeiten, das Zusammen-Zeugnis-Geben, ist für ihn sehr wichtig. Was er immer wieder betont, ist die Ökumene des Blutes. 80% aller Menschen, die aus Glaubensgründen verfolgt werden, sind Christen. Und die werden nicht verfolgt, weil sie katholisch, orthodox, protestantisch oder pentecostalsich sind, sondern, weil sie Christen sind. Papst Franziskus hat mir einmal gesagt, die Verfolger der Christen hätten manchmal die bessere Ökumene als wir selber. Sie wüssten nämlich, dass wir zusammen gehören. Und dieses Blut, das heute vergossen wird im Namen des Glaubens, das ist etwas, das eint. Diese Ökumene des Blutes – Papst Johannes Paul II. hat schon von Ökumene der Märtyrer gesprochen – ist für mich der innigste Kern aller ökumenischen Bemühungen.
domradio.de: Glauben Sie, dass Franziskus 2017 zum Reformationsgedenken nach Deutschland kommen wird?
Kardinal Koch: Ich glaube an Gott. Alles andere sind Fragen der Organisation. Natürlich wird man sich genau überlegen, was der Beitrag des Papstes im Reformationsgedenkjahr ist. Aber das Reformationsgedenken ist natürlich viel größer als Deutschland. Auch der lutherische Weltbund ist eine universale Institution, da wird man genau überlegen müssen, welches der Beitrag des Papstes sein wird.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.