Der Verband legte am Donnerstag in Berlin seinen dritten Bericht zur regionalen Armutsentwicklung vor. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider sagte, Deutschland sei "ein regional tief zerrissenes Land". Die Bundesregierung könne nicht davon ausgehen, dass sich die Lage stabilisiere. Aktuelle Zahlen zeigten ein "drastisch anderes Bild". Die Opposition machte die schwarz-gelbe Politik für die wachsende Armut verantwortlich.
Dem Bericht zufolge lag die Armutsgefährdungsquote 2011 bei 15,1 Prozent und damit erstmals über 15 Prozent. 2010 betrug sie 14,5 Prozent. Der Paritätische geht von den Daten des Mikrozensus aus. Als armutsgefährdet gilt danach, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens hat: Das waren 2011 für einen Alleinstehenden 848 Euro im Monat. Schneider sagte, diese Daten seien die aktuellsten und die genauesten; der neue Armutsbericht der Bundesregierung basiere auf älteren Zahlen.
Dortmund: Jeder Vierte lebt an der Armutsschwelle
Der Paritätische hat erstmals eigene Berechnungen über das Ruhrgebiet angestellt. Danach lag die Armutsquote 2011 im Revier bei 18,9 Prozent, 1,5 Prozentpunkte höher als im Vorjahr. In einzelnen Städten sei die Lage noch schlimmer, sagte Schneider. In Dortmund etwa lebt jeder Vierte an der Armutsschwelle.
Im bundesweiten Vergleich sind Bayern und Baden-Württemberg am besten dran. Im Mittelfeld bewegen sich neun Länder, Schlusslicht ist der Stadtstaat Bremen mit einer Armutsquote von 22,3 Prozent, knapp davor Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen-Anhalt und Sachsen. In Bremen lebt ein doppelt so hoher Teil der Bevölkerung an der Armutsschwelle wie in Baden-Württemberg. Die Spaltung verläuft der Studie zufolge nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen den wirtschaftsstarken Ländern im Süden, einem ost-west-gemischten Mittelfeld und den fast abgehängten Ländern und Stadtstaaten.
Insgesamt hätten sich 2011 negative Trends verstärkt, sagte Schneider. Als einziges Bundesland habe Thüringen noch eine sinkende Armutsquote zu verzeichnen, die aber mit 16,7 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt.
"Amerikanisierung des Arbeitsmarkts"
Besorgniserregend sei, dass der Trend schon seit 2006 nach oben weise, unterstrich der Paritätische Wohlfahrtsverband. Die Armut habe sich offenbar von der Wirtschaftsentwicklung entkoppelt. Die "Amerikanisierung des Arbeitsmarkts" sei bewusst vorangetrieben worden. Es gebe weniger Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger als Arme, sagte Schneider: "Das ist ein unübersehbarer Fingerzeig auf Niedriglöhne und prekäre, nicht auskömmliche Beschäftigungsverhältnisse."
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte, immer mehr Menschen seien arm trotz Arbeit. Er forderte Mindestlöhne und Mindestrenten, weniger Leiharbeit und befristete Jobs. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, forderte einen "Armutsgipfel" von Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft. Die Politik de Regierung Merkel vertiefe die soziale Spaltung immer weiter.
Der Paritätische fordert ein Sofortprogramm gegen die Armut. Dazu zählten Mindestlöhne, Mindestrenten und auch ein Mindest-Arbeitslosengeld, höhere Hartz-IV-Sätze und mehr Wohngeld, sagte Schneider. Dies koste zwischen 10 und 20 Milliarden Euro. Ein reiches Land wie Deutschland sei aber in der Lage, die Armut zu bekämpfen.