Parolin sieht Europa ohne Wurzeln und schwach im Gestalten

Fehlende Ideen für die Zukunft

Kardinal Parolin dirigiert seit 2013 die Außenpolitik des Vatikans. Manche sehen ihn als möglichen Nachfolger von Papst Franziskus. In einem Interview hat er die Lage Europas in einer radikal veränderten Welt analysiert.

Kardinal Pietro Parolin, Staatssekretär des Vatikans, hält eine Rede auf dem UN-Klimagipfel COP28. / © Rafiq Maqbool/AP/dpa (dpa)
Kardinal Pietro Parolin, Staatssekretär des Vatikans, hält eine Rede auf dem UN-Klimagipfel COP28. / © Rafiq Maqbool/AP/dpa ( (Link ist extern)dpa )

Europa leidet in der aktuellen Weltlage nach Ansicht von Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin an einer grundlegenden konzeptionellen Schwäche. In einem Interview der italienischen Zeitung "Eco di Bergamo" (Samstag) sagte der außenpolitische Kopf des Vatikans.

"Europa hat derzeit gute Antikörper, um Krisen und Herausforderungen zu widerstehen. Aber das größere Problem sind Ideen für die Zukunft, um den internationalen Konkurrenten entschlossen etwas entgegensetzen zu können."

Neben dunkler Geschichte auch "helle Momente"

Als Hauptursache für die gegenwärtige konzeptionelle Schwäche Europas machte der Chefdiplomat des Papstes Probleme des Kontinents mit der eigenen Geschichte aus. "Europa hat eine tief, teilweise auch berechtigte, Angst vor der eigenen Vergangenheit", so Parolin. Es gebe aber neben vielen dunklen Episoden "noch viel mehr helle Momente" in Europas Geschichte.

Um die großen und langfristigen Herausforderungen der Gegenwart in den Bereichen Kultur, Migration und Handel zu bestehen, müsse Europa wieder sich selbst finden. Nur so könne es in den derzeitigen geopolitischen Herausforderungen eine zentrale Rolle spielen.

Europas Verfassung als Schwachpunkt

Parolin erinnerte daran, dass die Staaten Europas beim Ringen um eine europäischen Verfassung die Idee verworfen hätten, explizit an die jüdisch-christlichen Wurzeln anzuknüpfen. Stattdessen habe man sich für eine bloße Erwähnung des kulturellen, humanistischen und religiösen Erbes entschieden.

Dies habe unter den beteiligten Völkern das Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Projekt der Integration und den Sinn für eine europäische Identität geschwächt. Anstatt Europa von tiefen gemeinsamen Fundamenten und Wurzeln her aufzubauen, habe man sich für einen veränderbaren Wertekonsens entschieden. Zukunft könne aber nur auf Vergangenheit aufgebaut werden.

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