DOMRADIO.DE: Fangen wir mal ganz persönlich an, mit den großen Lebensentscheidungen. Sie haben sich vor einem halben Jahrhundert mit noch nicht mal 20 Jahren entschieden, ins Kloster zu gehen, direkt nach dem Abitur. Wie viel Mut hat diese große Entscheidung gebraucht?
Anselm Grün (Mönch und Meditationslehrer): Das war vielleicht fremd für manche, aber für mich war es damals klar. Natürlich kann man mit 19 Jahren nicht alles überschauen. Aber trotzdem bereue ich die Entscheidung nicht. Es war mutig und es brauchte natürlich einige Nach-Entscheidungen, um diese einmal getroffene Entscheidung zu stabilisieren.
DOMRADIO.DE: Weshalb hat diese Entscheidung damals Mut gefordert? Wie haben Sie die Zeit erlebt?
Grün: Ich wusste natürlich nicht genau, was mich im Kloster erwartet. Und das frühe Aufstehen um halb fünf war schon etwas gewöhnungsbedürftig. Aber ich war damals begeistert von Mission und Liturgie und insofern hat die Begeisterung mir den Mut geschenkt.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist das natürlich nicht nur ein Thema für Menschen im Kloster, sondern auch, wenn es um Fragen wie Ehe, Beruf oder Wohnort geht. Wir tun uns ja manchmal schwer mit diesen Entscheidungen. Warum ist das so ein Problem für uns?
Grün: Einmal wollen die Leute immer die absolut richtige Entscheidung treffen. Es gibt aber keine absolut richtige Entscheidung. Es gibt immer nur eine kluge Entscheidung, sagt Thomas von Aquin. Eine kluge Entscheidung öffnet den Horizont.
Es kann ja durchaus sein, dass eine Entscheidung nach ein paar Jahren auch mal wieder revidiert werden muss. Diese innere Freiheit braucht man. Aber wenn ich vor lauter Angst, ich könnte eine falsche Entscheidung treffen, gar keine Entscheidung treffe, lähmt das das Leben. Dann lebt man einfach nur so dahin, ohne Schwung.
DOMRADIO.DE: Aber wie gehe ich damit um, was kann ich tun, um Entscheidungen treffen zu können?
Grün: Es gibt verschiedene Alternativen. Die frühen Mönche sagen, ich soll mir vorstellen, wie sich diese verschiedenen Alternativen auswirken - zum Beispiel auf mein Leben in zehn Jahren. Und dann gibt es vier Kriterien, die mir helfen zu wissen, wofür ich mich entscheiden soll. Dort, wo mehr Lebendigkeit, Freiheit, Friede und Liebe ist - in diese Richtung sollte ich mich entscheiden.
DOMRADIO.DE: Sie geben in Ihrem Buch aber auch ganz konkrete persönliche Tipps und Ideen, was ich heute tun kann, um mehr Mut für solche Entscheidungen zu finden. Welche sind das denn?
Grün: Einmal sind das sicher die Stille und das Gebet - zu fragen, was will Gott eigentlich von mir. Wenn ich Gott im Gebet frage, wird er mir das nicht sofort sagen. Aber im Gebet kommen dann doch oft Gedanken, um einfach klarer zu denken. Manche machen eine Wanderung oder sagen: Ich muss erstmal drüber schlafen. Und am nächsten Morgen haben sie oft eine innere Klarheit und dann haben sie Mut, sich zu entscheiden.
DOMRADIO.DE: Sie haben gerade eine schwere Krebserkrankung hinter sich. Das ist garantiert auch ein Thema, bei dem man Mut braucht, um das anzugehen, das zu überstehen. Können Sie uns Ratschläge geben, um auch mit solchen Schicksalsschlägen umzugehen?
Grün: So ein Schicksalsschlag bringt einfach die Maßstäbe durcheinander und zeigt: Ich habe keine Garantie. Ich kann einfach nur im Vertrauen leben, das Gott mir die Jahre schenkt, die für mich gut sind. Ich bete dann einfach: Dein Wille geschehe. Das gibt mir eine innere Gelassenheit. Wenn es Gottes Wille ist, dass ich noch lange lebe, dann bin ich dankbar. Wenn es kürzer ist, ist es auch sein Wille und dann bin ich damit auch einverstanden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.