KNA: Pater Dartmann, Renovabis wird 20 - wie fällt Ihre Bilanz aus?
Pater Stefan Dartmann SJ (Renovabis-Hauptgeschäftsführer): Ich sehe diese 20 Jahre als Erfolgsgeschichte und vor allem als große Leistung der deutschen Katholiken. Sie haben seit 1993 unsere Arbeit getragen und sehr viele Projekte in Osteuropa unterstützt. Inzwischen sind es mehr als 19.000 Initiativen von Projektpartnern mit rund 560 Millionen Euro. Das ist doch ein sehr handfester Beweis der Solidarität.
KNA: Inzwischen gibt es "den Ostblock" nicht mehr, und die wirtschaftliche und allgemeine Lebenssituation hat sich vielerorts deutlich verbessert. Ist die Unterstützung überhaupt noch nötig?
Dartmann: Da muss man differenzieren. Die osteuropäischen Länder entwickeln sich ganz unterschiedlich. Die einen tendieren stark Richtung West- oder Nordeuropa, andere eher Richtung Asien. Und auch die wirtschaftliche Entwicklung ist sehr verschieden und damit auch der Grad der Hilfsbedürftigkeit. Wenn ich da nur an Reisen nach Moldawien, Rumänien, Bulgarien und vor allem nach Albanien denke, da sieht man oft eine Verelendung, die man sonst höchstens in Indien oder in Afrika vermuten würde.
KNA: Wie hat sich in den vergangenen 20 Jahren die Arbeit von Renovabis verändert?
Dartmann: Zunächst ging es vor allem um die Linderung aktueller Not. Inzwischen hat sich der Charakter der Beziehungen verändert. Wir legen Wert darauf, dass wir nicht nur ein Hilfswerk zwischen Ost und West sind. Vielmehr geht es uns darum, Brücken zu bauen. Wir können nicht Europa denken und von Europa sprechen und dann doch große Teile von Europa ausblenden. Ich fürchte, dass nach diesen ersten 20 Jahren das Interesse an Osteuropa - und das bestätigt sich in vielen Bereichen - leider zurückgeht. Dabei gibt es auch für uns dort noch vieles zu entdecken, auch kirchliche Schätze, die wir kennenlernen können und die uns bereichern. Uns geht es nicht nur um Hilfe, sondern um echte Solidarität, um eine Gemeinsamkeit zwischen Ost und West.
KNA: Wie sieht die Arbeit von Renovabis konkret aus?
Dartmann: Nothilfe im strengen Sinne des Wortes leisten wir heute nur noch bei gerade mal 0,1 Prozent unserer Projekte - dafür gibt es andere kirchliche Organisationen wie die Caritas. Uns geht es um den Aufbau von Grundstrukturen - nicht zuletzt kirchlichen, um soziale Unterstützung und um Maßnahmen der Entwicklungshilfe. Aber es geht auch um die Hilfe für Randgruppen wie die Roma. Hier könnten demnächst gewaltige Probleme auf ganz Europa zukommen. Deshalb unterstützen wir in verschiedenen Ländern vielversprechende Roma-Projekte.
KNA: Wie geht es insgesamt der katholischen Kirche in Osteuropa?
Dartmann: In Ländern wie Polen ist ihre Infrastruktur heute sehr gut ausgebaut. Dagegen erleben wir in Ländern wie Albanien ganz schwere Notsituationen. Dort fühlt sich die Kirche ziemlich alleingelassen von der internationalen Solidarität. Albanien ist das ärmste Land Europas, es gehört nicht zur EU - und das merkt man. Dort ist wirklich noch Aufbauarbeit zu leisten von einer Art, wie wir sie in anderen Ländern so nicht mehr kennen.
KNA: Auch im Jubiläumsjahr gibt es natürlich eine aktuelle Pfingstaktion. Worum geht es diesmal?
Dartmann: Das Motto heißt "Das Leben teilen - Solidarität mit behinderten Menschen im Osten Europas". Dahinter steht die Erfahrung, dass gerade zu Zeiten des Kommunismus behinderte Menschen in Osteuropa versteckt, verachtet und diskriminiert wurden. In den vergangenen 20 Jahren hat sich schon vieles zum Guten gewandelt - etwa in den rumänischen Kinderheimen. Es gibt in den Ländern ein echtes Interesse, diesen Bereich weiter zu entwickeln. Wir unterstützen Pilotprojekte, die bestimmte Normen setzen, die für die gesamte Entwicklung von Osteuropa wichtig sein und Maßstäbe setzen könnten.
KNA: Wie ist allgemein die Situation von Menschen mit Behinderung in Osteuropa?
Dartmann: Mit Blick auf die staatlichen Voraussetzungen liegt da noch vieles im Argen - nicht nur, was die allgemeine finanzielle Unterstützung angeht, sondern was die konkrete Einrichtung angeht. Wir haben in Deutschland einen ganz hohen Standard. Wir reden von Inklusion, das ist ein hoher Anspruch. Diese Diskussion möchten wir auch gerne in die Länder Osteuropas hineinbringen.
domradio.de überträgt die feierliche Eröffnung der diesjährigen Renovabis-Pfingstaktion am Sonntag, den 28. April live in Bild und Ton ab 10 Uhr aus dem Trierer Dom. Mit dem Pontifikalamt feiert das katholische Osteuropa-Hilfswerk auch sein 20-jähriges Bestehen.
Das Interview führte Gottfried Bohl