KNA: Pater Anselm, Sie haben zuletzt ein Buch über Versäumnisse im Leben geschrieben: Was hätten Sie gerne anders gemacht?
Grün: Ich selber habe nicht zu viel versäumt. Wenn ich an meinen 70. Geburtstag denke, freue ich mich, was so gewachsen ist. Ich habe das Buch vor allem geschrieben, weil mir immer wieder aufgestoßen ist, dass Menschen sagen: Ich habe mein Leben versäumt, ich habe an mir vorbeigelebt. Oder auch junge Leute, die einfach nicht den Sprung ins Leben wagen. Das Buch soll Mut machen.
KNA: Können Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrem Leben nennen?
Grün: Es war eine Krise für mich, als ich als Cellerar die wirtschaftliche Verantwortung für das Kloster übernahm. Denn ich wollte ja eigentlich Theologe und Seelsorger werden. Aber ich habe es gewagt, habe es angepackt und es ist auf einmal ganz viel Gutes geworden.
KNA: Sie haben einen Aufruf für eine neue Russland-Politik unterschrieben. Was ist denn bisher im aktuellen Konflikt versäumt worden?
Grün: Miteinander zu sprechen! Nur mit Macht kann man den Konflikt nicht lösen. Mich berührt sehr, dass man auch die kulturellen Verbindungen, die Gespräche abgeschnitten hat. Ein Bekannter, der in der deutsch-russischen Gesellschaft ist, hat mir erzählt, wie viel Sympathie die Russen für die Deutschen haben. Man darf das nicht an einem Politiker festmachen und ein ganzes Volk dafür bestrafen. Dialog ist immer wichtiger als Machtdemonstration.
KNA: Sie stehen stark in der Öffentlichkeit - ist das eine Belastung oder ein Vergnügen?
Grün: Ich bin dankbar, dass die Menschen meine Bücher lesen. Oft sagen sie mir, dass sie ihnen helfen. Aber natürlich ist es nicht immer angenehm. Es gibt Leute, die irgendeinen kleinen Fehler aufbauschen und alles Mögliche in mich hineinprojizieren. Ich lese im Internet nie, was über mich geschrieben wird. Das berührt mich nicht. Die Briefe, die mich erreichen, sind meistens positiv. Es gibt nur selten rechthaberische Zuschriften, die mich bekehren möchten.
KNA: Ein anderes Buch von Ihnen befasst sich mit Gier...
Grün: Wie bei allen Leidenschaften kann man die Gier nicht total abschneiden, Gier hat mit "begehren" zu tun. Und Begehren ist ein Motor, etwas anzupacken. Im Buddhismus ist die Gier dagegen das Hauptübel. Und im Timotheus-Brief steht, die Habsucht ist die Wurzel allen Übels. Der Gierige kann nicht genießen, der ist nicht in seiner Mitte, der muss immer mehr haben. Und er spürt seinen Leib nicht. Deshalb braucht er unendlich viel. Er schadet der Schöpfung, den anderen Menschen und letztendlich sich selber.
KNA: Aber als wirtschaftlicher Leiter der Abtei haben Sie ja auch an den Finanzmärkten spekuliert?
Grün: Mein Ziel war es, so zu wirtschaften, dass die Zukunft der Abtei gesichert ist und die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Dazu braucht es ein wenig Gewinn. Aber es ging nicht um Gier. Natürlich war da auch eine Lust da, mehr zu erwirtschaften, wenn ich Geld angelegt habe. Ich sage immer: Wer ängstlich oder gierig ist, sollte die Finger davon lassen, denn der macht bestimmt viele Fehler.
KNA: Benediktiner sprechen vom rechten Maß. Sie sind Bestseller-Autor, weit mehr als 300 Bücher haben Sie geschrieben ...
Grün: ... ich zähle sie nicht mehr ...
KNA: ... ist das nicht zu viel des Guten?
Grün: Mein Horizont ist auch begrenzt. Natürlich merke ich, dass ich mich manchmal wiederhole. Die Verlage drängen einen zu schreiben. Auf der anderen Seite habe ich das Bestreben, typisch christliche Themen von einer neuen Perspektive aus zu sehen und den Menschen zu vermitteln. Ich denke schon, dass die letzten Bücher immer wieder ein neues Thema hatten, das die Menschen angerührt hat.
KNA: Und bei den Vorträgen - wie sieht es da mit dem rechten Maß aus?
Grün: Da hatte ich schon manchmal das Gefühl: Das war jetzt zu viel. Da habe ich mich ausnutzen lassen. Ich habe mir zwar vorgenommen, im Jahr 2015 weniger zu tun. Aber das ist gar nicht so einfach.
KNA: Runde Geburtstage sind ja auch immer Anlässe zum Innehalten. Wollen Sie etwas in Ihrem Leben ändern?
Grün: Mich auf keinen Fall so von Erwartungen bestimmen lassen, sondern mehr aus mir selber heraus leben. Ich werde mehr Kurse hier im Kloster halten und weniger zu Vorträgen fahren. Aber es fällt schwer, bei Anfragen Nein zu sagen.
KNA: Auf den Bart wollen Sie aber nicht verzichten?
Grün: Das wäre ein Identitätswechsel, da müsste ich mich erst einmal dran gewöhnen.
Das Interview führte Christian Wölfel.