Patientenverfügungen jetzt mit gesetzlicher Grundlage - Kirche war gegen Regelung

"Achtung des Selbstbestimmungsrechts"

In Deutschland gibt es ab September erstmals einen rechtlich verbindlichen Rahmen für Patientenverfügungen. Nach langen Kontroversen beschloss der Bundestag im Juni 2009 entsprechende Änderungen im Betreuungsrecht. Die katholische Kirche gehörte zu den entschiedensten Kritikern der Regelung, die nun Gesetz wird.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Rechtssicherheit für alle Beteiligten - das verspricht das Gesetz, das am Dienstag in Kraft tritt und für Patientenverfügungen erstmals einen konkreten rechtlichen Rahmen schafft: «Es soll sichergestellt werden, dass der das Betreuungsrecht prägende Grundsatz der Achtung des Selbstbestimmungsrechts entscheidungsunfähiger Menschen auch bei medizinischen Behandlungen beachtet wird», heißt es.

Sechs Jahre nach einer heftig diskutierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs findet damit eine Kontroverse ihren Abschluss, die den Bundestag und die Gesellschaft während der vergangenen Legislaturperiode immer wieder beschäftigte. Allein zwischen März 2007 und Juni 2009 debattierte das Plenum vier Mal ausführlich über das Thema. Stets ging es dabei um die Betonung der Selbstbestimmung auf der einen, der Unantastbarkeit des Lebens auf der anderen Seite.
Der Disput rührte an ethische Grundfragen im Umgang mit dem Tod. So ging es immer auch um verfassungsrechtliche Bewertungen.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) äußert sich erfreut, dass die Verfügungen nun gesetzlich verankert sind. Damit würden die «berechtigten Erwartungen von Millionen Bürgerinnen und Bürgern» erfüllt. Die Ministerin wird selbst am Montag bei einer Pressekonferenz der Arbeiterwohlfahrt einen Vorsorge-Ordner für «Selbstbestimmung bis zum Ende des Lebens» vorstellen. Die andauernden Bedenken von weiten Teilen der Union formulierte zuletzt Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) im Juli im Bundesrat. Das Gesetz müsse im nächsten Bundestag auf Praxistauglichkeit überprüft werden, meinte er.

Oberstes Gebot der neuen Regelungen, so Zypries, «ist die Achtung des Patientenwillens». Tatsächlich können Menschen nun weithin damit rechnen, dass sie in einem solchen Dokument vorab festlegen können, wie sie im Fall einer schweren Erkrankung medizinisch behandelt werden wollen. Dabei geht es nicht nur die letzte Phase einer tödlich verlaufenden Krankheit. Auch für Patienten im Wachkoma oder mit schwerer Demenz kann eine schriftlich verfasste Verfügung Geltung beanspruchen. Nur wenn sich Ärzte und gesetzliche Betreuer oder Bevollmächtigte nicht einig sind, ob die Patientenverfügung dem aktuellen Willen des Patienten entspricht, kommt das Vormundschaftsgericht zum Zug.

Sterzinsky: Besser Vollmacht für Vertrauensperson
Die katholische Kirche gehörte zu den entschiedensten Kritikern der Regelung, die nun Gesetz wird. Der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky plädierte in dieser Woche dafür, statt eine Patientenverfügung zu verfassen lieber eine Person des Vertrauens zu bevollmächtigen. Sie könne dann die Wünsche eines Patienten gemeinsam mit dem Arzt interpretieren und das «Zusammenwirken von Selbstbestimmung und Fürsorge gewährleisten».

Monate im Koma, Abhängigkeit von künstlicher Ernährung und menschlicher Zuwendung - solche Szenarien wühlen auf und beschäftigen eine älter werdende Gesellschaft. In die Jahre der gesellschaftlichen Debatte fielen weltweit beachtete Fälle öffentlichen Sterbens: Die Schicksale der US-Amerikanerin Terri Schiavo 2005 oder der Italienerin Eluana Englaro im Februar 2009 führten viele zu der Frage, wie sie sterben möchten. Und in Deutschland machte die Familie des Gelehrten Walter Jens - nun 86-jährig und schwer dement - dessen Leben öffentlich.

Auf jeden Fall werden sich Politik und Gesellschaft weiter mit dem Leben im Alter befassen. Da geht es zum einen um den Ausbau der Palliativmedizin, von Sterbehospizen und -begleitung. Zum anderen wird sich angesichts knapper Kassen im Gesundheitswesen die Frage verschärfen, welche Leistungen und welcher Standard medizinischer Versorgung zu finanzieren ist.