Im Bistum Mainz beginnt die Zeit nach Kardinal Karl Lehmann. Der hatte die Diözese fast 33 Jahre geleitet und hinterlässt als früherer Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und international anerkannter Theologe große Fußstapfen. In die steigt mit Peter Kohlgraf wieder ein Professor. Und doch wirken Biografie und Veröffentlichungen der beiden so ganz anders.
Während Lehmann Dogmatik und damit systematische Theologie dozierte, lehrt der 50-jährige Kohlgraf an der Katholischen Hochschule Mainz eine andere Seite der Medaille: praktische Theologie. Gemeint sind damit vereinfacht gesagt die Theorien über die Umsetzung der christlichen Lehre vor Ort.
Geduld, Plan, Sorgfalt
Die Themen, mit denen sich Kohlgraf befasst, spiegeln ein breites Spektrum der Fragen wider, die moderne Menschen stellen: Es geht etwa um Vergeben und Verzeihen in Paarbeziehungen, Notfallseelsorge oder die Zukunft christlicher Gemeinden vor dem Hintergrund von Priestermangel und XXL-Pfarreien. Eine Problematik, die in Mainz wie in allen anderen deutschen Diözesen eine Menge an Brisanz birgt.
Denn Handlungsbedarf bestand und besteht fort. "Es wird Aufgabe des neuen Bischofs sein, sich dieses Themas anzunehmen", heißt es im Bischöflichen Ordinariat. In seiner ersten Ansprache ging Kohlgraf indirekt auch auf das Thema ein. Er sprach von seinem Vater, einem Maurer, und der Erfahrung, wie ein Haus entsteht: "langsam, geduldig, Stein auf Stein, und am Ende solide gebaut". Es brauche dafür "Geduld, einen Plan, Sorgfalt". Dabei will er Wissenschaft und die Praxis vor Ort verbinden, "damit wir nicht schöne Pläne machen, die ohne Bodenhaftung sind und abstrakt bleiben".
Kohlgrafs Grundüberzeugung ist gleichzeitig der Titel seines Buchs: "Nur eine dienende Kirche dient der Welt". Der designierte Bischof will eine Kirche, die sich der gesellschaftlichen Realität stellt - "mehr verkündigend als belehrend". Er warnt davor, sich in einer katholischen Nische zu verstecken.
An die Ränder
Wer sich abschotten will, muss sich von ihm sagen lassen: "Die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen, war nie katholisch." Kohlgraf möchte wie Papst Franziskus an die Ränder. Bis in die Wortwahl hinein ähneln sich seine Ansätze und die des Papstes: Barmherzigkeit, Versöhnung und Vergebung heißen beider Schlüsselbegriffe.
Kohlgraf stammt aus Köln, wo er auch Abitur machte. Nach dem Theologiestudium in Bonn und Salzburg und der Priesterweihe, die er 1993 gemeinsam mit dem heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße und dem Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp im Kölner Dom erhielt, arbeitete er an mehreren Gymnasien und in der Priesterausbildung.
Parallel begann er eine wissenschaftliche Karriere, die 2012 in einem Lehrstuhl für praktische Theologie in Mainz mündete. Seine Doktorarbeit schrieb er beim Bonner Kirchenhistoriker Ernst Dassmann, der in der Theologenzunft einen exzellenten Ruf genießt. In seinen Denken greift Kohlgraf bis heute häufig auf die Kirchenväter zurück, wie die großen Theologen der ersten sieben Jahrhunderte heißen, und sucht Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Im Dom sagte Kohlgraf, dass ihm Mainz wegen der rheinischen Lebensart sympathisch sei: "Vor Fassenacht und Fußball ist mir grundsätzlich nicht bange!" Er gilt als freundlich und kommunikativ, als Mensch, der auch über sich selbst lachen kann.
Bereitschaft zur Offenheit
Das alles passt zu den Erwartungen, die sein Vorgänger Lehmann für einen Nachfolger formuliert hatte: Er müsse die Bereitschaft zur Offenheit besitzen gegenüber allen Menschen, auch gegenüber denen außerhalb der Kirche. Und er müsse einen "Sinn haben für die Lebensart der Region, speziell auch in Mainz".
Auch wenn Lehmann seinem Nachfolger nach eigenem Bekunden nicht unerbetene Ratschläge geben will, so lässt sich nachlesen, wie der Kardinal das Bischofsamt versteht: Manche Bürde sei leichter zu tragen, so Lehmann unter Berufung auf Kirchenvater Augustinus, wenn man sich ganz demütig zum normalen und einfachen Volk Gottes stelle.
Kohlgraf sagte es im Dom ganz ähnlich: Ein Bischof bleibe "ein normaler Mensch, der Hilfe und Weggefährten braucht".