Peter Seewald über seine Erfahrungen mit Papst Benedikt XVI.

"Er ist ein Stehaufmännchen"

Zum ersten Mal in seinem Pontifikat hat Papst Benedikt XVI. ein mehrstündiges Interview gegeben. An sechs Tagen stand er Peter Seewald Rede und Antwort. Der Münchner Journalist und Buchautor über Verlauf und Hintergründe des spektakulären Buchprojekts "Licht der Welt".

 (DR)

KNA: Herr Seewald, ist der Text des Interviewbuchs "Licht der Welt" authentisch?

Seewald: Absolut. Das Buch ist Originalton Papst. Wir hören seine Stimme. Weder wurden die Fragen abgestimmt, noch hat der Papst eine einzige meiner Fragen zurückgewiesen, sondern sie offen und selbstkritisch beantwortet. Er hat das gesprochene Wort dann auch so stehen lassen und nur kleine Korrekturen vorgenommen, wo er eine sachliche Präzisierung für notwendig hielt.



KNA: Wie muss man sich den Verlauf vorstellen? War noch jemand anwesend, wer schrieb mit?

Seewald: Ich hatte an sechs Tagen hintereinander jeweils eine Stunde Zeit, immer von halb zwölf bis halb eins in der päpstlichen Sommerresidenz in Castelgandolfo. Ich wohnte in einem Hotel in der Nähe und wurde jeden Tag von dort abgeholt. Das Gespräch selbst fand im Arbeitszimmer des Papstes statt. Aufpasser gab es da keinen. Wir waren ganz unter uns. Um eine Panne auszuschließen, habe ich immer mehrere Aufnahmegeräte laufen lassen. Eines davon ist so ein altes Ding mit Kassette, das schaltete sich immer nach 60 Minuten mit einem lauten Klack aus. So hatte ich leider nie die Chance, über die Stunde hinaus zu überziehen.



KNA: Warum vertraut Joseph Ratzinger als Kardinal und jetzt als Papst ausgerechnet dem Nicht-Theologen Peter Seewald?

Seewald: Er trifft ja hier nicht in erster Linie auf einen Nicht-Theologen, sondern auf einen Journalisten und Buchautor. Aber es ist in der Tat etwas Besonderes, gerade wenn man bedenkt, dass ich beim ersten Interviewbuch "Salz der Erde" ja nicht einmal Mitglied der Kirche und ein Agnostiker war. Ich glaube, er mag es, dass ich nicht so der Typ bin, der buckelt, sondern der ohne Scheu kritisch die Dinge herausfragt. Dass ich mich aufrichtig, nüchtern und ohne den üblichen Zynismus um diese Thematik bemühe - und einerseits professionelle journalistische Distanz wahre, mich in meinem Bekenntnis aber auch nicht verstecke. Ratzinger ist ein Mann des Dialogs, er schätzt die offene Debatte, das hat er ja nicht erst in seinem Gespräch mit Habermas bewiesen.



KNA: Wieso kam das Interview gerade jetzt zustande?

Seewald: Es gab einen langen Vorlauf. Nachdem ich bereits mit ihm als Kardinal die Interviewbücher "Salz der Erde" und "Gott und die Welt" gemacht hatte, wollte ich diese Reihe gerne mit einem dritten Band abschließen. Nun war mein Gesprächspartner auch noch Papst geworden, was den Reiz dieses Projektes natürlich enorm verstärkt. Aber da hieß es erst aus seiner Umgebung, es wäre schwierig. Dann habe ich mit Blick auf das fünfjährige Papstjubiläum und das zweite Werk des Jesus-Buchs einen neuen Anlauf unternommen, und da ist es dann gelungen. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass Papst Benedikt nach den Monaten mit der Williamson-Debatte und dem fürchterlichen Missbrauchsskandal diese Möglichkeit nutzen wollte, Rechenschaft zu geben, selbstkritisch zu reflektieren und nüchtern zu analysieren. In der Öffentlichkeit entstanden ja zum Teil gewaltige Falschbilder, die mit der Wahrheit nichts mehr zu tun hatten. Hinzu kommt zeitgleich sein großes Projekt der Neu-Evangelisierung Europas. Da passt es perfekt, dass gerade jetzt "Licht der Welt" erscheint - als Botschaft an die Kirche, an die Welt, an jeden einzelnen von uns.



KNA: Wie haben Sie den Papst erlebt? Ist er fit? Fühlt er sich noch immer verletzt durch manche Kritiker?

Seewald: Er ist 83 Jahre alt, und in dem Alter hat man natürlich Formschwankungen. Aber er ist ein Stehaufmännchen. Er kann sich fast wie über Nacht regenerieren. Ich fand ihn topinformiert über die Ereignisse in der Kirche und in der Politik. Er ist in allen gesellschaftlichen Fragen auf der Höhe der Zeit. Er ist nicht der Bücher- und Aktenwurm, als der er oft dargestellt wird. Ich glaube, es gibt kaum jemanden wie ihn, der jeden Tagen so vielen Menschen aus allen möglichen Ländern begegnet. Und was die Verletzungen angeht: Wer den Papst kennt, weiß, er ist eine Seele von Mensch und demütig wie kein Zweiter, aber er ist in den Dingen des Glaubens kein Weichholz, sondern besitzt eine enorme Leidensfähigkeit und kann was wegstecken. Und er weiß auch, dass er etwas falsch machen würde, wenn er als Papst everybody"s darling wäre.



KNA: Gibt es Punkte, wo Peter Seewald und Joseph Ratzinger unterschiedlicher Meinung sind?

Seewald: Vor allem bin ich pessimistischer als er, wenn ich sehe, wie diese Gesellschaft an Boden verliert, wie mit der Verdunstung des Glaubens und der Entchristlichung Europas auch ein Niedergang an Zivilisation einhergeht. Da ist er viel hoffnungsvoller. Er ist kein Feind der Moderne, er schätzt ihre Errungenschaften. Er ist allerdings äußerst besorgt darin, dass diese Moderne nicht überleben kann, wenn sie nicht die Chance der Umkehr nutzt und nicht Gott wieder im Zentrum steht und neu sichtbar wird in der Welt. Auch beim Islam sind wir unterschiedlicher Meinung. Man lernt dann von ihm, nicht zu eng und zu ängstlich zu denken. Eine wirklich christliche Position kann niemals Selektion befürworten. Ratzinger integriert. Er sieht die Dinge aus dem Blickwinkel Gottes, der ein Gott der Liebe ist, der niemanden ausgrenzt.



KNA: Was ist das Geheimnis dieses Mannes?

Seewald: Vermutlich seine Nähe zu Gott. Er hat das Licht der Welt gesehen und wurde selbst ein solches Licht. Deshalb ist er bei aller Intellektualität ein einfacher, frommer Mensch geblieben. Die Tiefe und Einfachheit des Glaubens, die er vorlebt, wird ja regelrecht zu einem der Siegel dieses Pontifikats. Dass Ratzinger einer der größten Denker unserer Zeit, ein spiritueller Meister von hohen Gnaden und vermutlich auch einer der bedeutendsten Theologen der Kirchengeschichte ist, steht außer Frage. Aber er ist eben auch ganz authentisch. Er sagt, was er denkt, und er tut, was er sagt. Eigentlich eignet er sich überhaupt nicht als Feindbild. Dass er trotzdem immer wieder dafür hergenommen wird, kommt inzwischen richtig peinlich. Ratzinger verliert sich nicht im Aktionismus, das ist ihm völlig fremd. Er arbeitet diszipliniert und extrem effizient. Die professorale Gelehrsamkeit ist vielleicht der einzige Punkt, wo er ein klein wenig eitel ist. Aber auch sie stellt er ganz in den Dienst der Kirche und meint, wenn der liebe Gott schon wollte, dass ein deutscher Professor Papst wird, dann wird er sich auch was dabei gedacht haben.



KNA: Haben Sie ihm alle Fragen stellen können, die Sie geplant hatten?

Seewald: Leider nicht. Die Zeit war wirklich sehr begrenzt. Aber wer weiß, vielleicht wird es ja noch einmal ein Interview-Buch geben. Dieser Papst ist immer für eine Überraschung gut.



Das Gespräch führte Ludwig Ring-Eifel.