Pfarrer lässt sich von Anzeige nach AfD-Kritik nicht entmutigen

"Kirche muss politisch sein"

Der Erdinger Stadtpfarrer Martin Garmaier hat sich in seiner Silvesterpredigt kritisch über die AfD-Parteichefin Alice Weidel geäußert. Die Retourkutsche kam prompt in Form einer Anzeige. So reagiert der Pfarrer auf die Vorwürfe.

Autor/in:
Dagmar Peters
Leere Stühle in einer Kirche / © Massimiliano Papadia (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Was haben Sie denn an Silvester über Alice Weidel gesagt?

Martin Garmaier (Erdinger Stadtpfarrer): Ich habe gesagt, dass ich es unanständig finde, wie sie nach dem Attentat in Magdeburg aufgetreten ist. Ich habe gesagt, hier wurde das Leid von Menschen, die betroffen sind, benutzt, um es für eigene Belange, vor allem Ausländerfeindlichkeit, umzumünzen. 

Ich habe auch einen Vergleich gezogen zwischen den vielen, die ihre Plakate mit der Aufschrift "Ausländer raus" bei einer Veranstaltung hochgehalten haben und dann gemeint habe, dass es vor knapp 100 Jahren wahrscheinlich "Juden raus" geheißen hätte. 

Mir wird in dieser Anzeige auch vorgeworfen, dass ich gesagt hätte, man möge sich bitte daran erinnern, dass etwa Terroristen der RAF oder der NSU oder auch jüngst bei dem Attentat auf die Synagoge, alles Deutsche waren und dass man nicht automatisch sagen kann, dass Ausländer die Verbrecher sind. In dem Zusammenhang habe ich auch gesagt, wenn sowas so ausgenutzt werde, dann werden im Prinzip Alice Weidel und auch andere zu Verbrechern - und zwar zu Verbrechern an der Gesellschaft.

Alice Weidel, AfD-Bundesvorsitzende, beim Bundesparteitag iIn Riesa. / © Sebastian Kahnert (dpa)
Alice Weidel, AfD-Bundesvorsitzende, beim Bundesparteitag iIn Riesa. / © Sebastian Kahnert ( (Link ist extern)dpa )

DOMRADIO.DE: Wie überrascht waren Sie als die Anzeige kam?

Garmaier: Ich war bedingt überrascht, denn ich kenne den Herrn, der mich angezeigt hat. Der hat mir auch voriges Jahr bereits mit einer Anzeige angedroht. Entweder ist es nicht dazu gekommen oder ich habe nichts bekommen. Er ist auch als notorischer Anzeigen-Erstatten gegenüber vielen bekannt, die nicht so ganz seiner Meinung sind.

DOMRADIO.DE: Der Vorwurf lautet, sie hätten die Parteivorsitzende der AfD und andere als Verbrecher tituliert. Ihnen wird jetzt Volksverhetzung vorgeworfen. Was haben Sie dem zu entgegnen? Was konkret geht Ihnen durch den Kopf?

Garmaier: Ich denke, Volksverhetzung ist etwas anderes. Bei dem Wort Verbrecher oder Verbrechen an der Gesellschaft sehe ich durchaus zwei Bedeutungen. Zum einen das, was justiziabel ist. Das andere ist "Ver-Brechen". Da bricht jemand etwas, was einem anderen Schaden zufügt.

DOMRADIO.DE: Die Fülle an Reaktionen ist gewaltig. Welche Reaktionen überwiegen? Ablehnung oder Zustimmung?

Garmaier: Überwiegend Zustimmung. Ich bekomme Briefe, Anrufe, Mails von vielen, die sagen: "Gut, dass einer mal den Mund aufmacht" und "Du hast unsere volle Unterstützung". Manche meinen sogar, ich sei geadelt, denn wer von der AfD angezeigt wird, sei geadelt.

Martin Garmaier

"Ich habe einige Emails bekommen, die unter die Gürtellinie gehen."

DOMRADIO.DE: Sind denn auch Drohungen unter den Reaktionen, die Sie erreichen?

Garmaier: Drohungen explizit habe ich noch keine bekommen, aber durchaus einige Emails, die in meinen Augen unter die Gürtellinie gehen, unqualifiziert sind, irgendwelche Dinge hervorholen und scharf schießen, aber nicht wirklich mit einer ordentlichen Diskussionsfähigkeit.

DOMRADIO.DE: Dass Ihre Predigt jetzt eine große öffentliche Aufmerksamkeit erreicht, hat Sie überrascht. Macht das was mit Ihnen?

Martin Garmaier

"Ich fühle mich nach wie vor auch beauftragt, immer wieder neue Dinge anzustoßen."

Garmaier: Es macht mit mir insofern etwas, weil ich eine Anzeige nicht so ohne Weiteres wegstecke als wäre nichts gewesen. Selbst wenn ich glaube und hoffe, dass das ausgeht wie das Hornberger Schießen. Ich fühle mich nach wie vor auch beauftragt, immer wieder neue Dinge anzustoßen und auch anzumerken, wenn ich denke, hier läuft etwas schief und hier geht etwas gegen unsere christliche Grundüberzeugung.

DOMRADIO.DE: Was sagt denn Ihre Gemeinde und vor allen Dingen was sagt auch das Erzbistum München-Freising, zu dem Sie gehören, dazu?

Garmaier: Meine Gemeinde sagt durch die Bank: super. Die haben sogar gesagt, die Predigt war diesmal ziemlich weich. Die bestärken mich alle. 

Vom Bistum selber habe ich offiziell noch gar nichts bekommen, glaube aber auch nicht, dass da irgendwas kommen wird. Und wenn, dann ist es eher Bestärkung, weil ich fest überzeugt bin, dass unser Kardinal ganz ähnlich tickt.

Martin Garmaier

"Wir haben aus unserem christlichen Glauben etwas zu verkünden und für etwas einzustehen."

DOMRADIO.DE: Es gibt auch die Stimmen, die mahnen, Kirche solle sich aus der Politik raushalten. Wie ist denn Ihr Blick auf den politischen Auftrag der Kirche?

Garmaier: Ich denke, Kirche muss politisch sein, weil sie ein Teil dieser Gesellschaft ist. Wir haben aus unserem christlichen Glauben etwas zu verkünden und für etwas einzustehen. Wenn wir den Eindruck haben, dass in der Gesellschaft etwas schief läuft oder nicht mehr dem entspricht, von dem wir glauben, dass es von unserem Christentum her wichtig ist für alle - bei aller Religionsfreiheit -, dann muss sich Kirche zu Wort melden. 

Sie darf nicht parteipolitisch werden. Ich darf nicht hergehen und sagen: "Diese Partei müsst ihr wählen und die andere nicht". Wobei ehrlich gesagt, bei der AfD mache ich mittlerweile eine Ausnahme. Denn bei dem, was hier oftmals vertreten wird, habe ich die große Befürchtung, dass die Demokratie letztlich mit Füßen getreten wird. Die AfD wird ja nicht umsonst vom Verfassungsschutz überwacht. Das passiert in unserem Rechtsstaat auch nicht so ohne Weiteres.

Das Interview führte Dagmar Peters. 

(Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde am 16.1.25 um 7:36 Uhr aktualisiert.)

Studie: AfD weniger christlich als vor sieben Jahren

Die AfD beschwört in Reden immer wieder das "christliche Abendland". Gleichzeitig halten Wissenschaftler die Positionen der rechten Partei für nicht vereinbar mit einer christlich verstandenen Politik. Das geht aus der Neuauflage einer Studie der Universität Münster hervor. Die Positionen der AfD und der katholischen Kirche lägen vielmehr noch weiter auseinander als vor einigen Jahren, sagt einer der Autoren der Studie, der Sozialethiker Alexander Filipovic.

Eine Papiertasche der Partei AfD hängt an einem Haken in einer Kirchenbank / © Harald Oppitz (KNA)
Eine Papiertasche der Partei AfD hängt an einem Haken in einer Kirchenbank / © Harald Oppitz ( (Link ist extern)KNA )
Quelle:
DR

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