DOMRADIO.DE: Es soll Geldstrafen zwischen 2.000 Euro bis 60.000 Euro für Betriebe geben, die vermeidbare Lebensmittelabfälle produzieren. Das ist der Plan der spanischen Regierung. Die will sich in den kommenden Tagen mit einem Gesetzentwurf befassen. Finden Sie das sinnvoll?
Pfarrer Ludger Ernsting ("Gastkirche" Recklinghausen): Es ist meines Erachtens nach eine Markierung, dass der Rechtsansatz ein Stück anders gesucht wird, als er momentan in der Bundesrepublik Anwendung findet. Dort ist beispielsweise die Nutzung noch verwertbarer Lebensmittel durch Containern gesetzlich untersagt. Man macht sich dadurch strafbar. Es ist in dem Fall eine andere Interpretation, ein anderer Ansatz in der Rechtsprechung in diesem Bereich, der durchaus für uns und unsere Gesellschaft auch ein Impuls sein kann.
DOMRADIO.DE: Genau das ist die große Frage, es ist ein anderer Ansatz: Wäre das denn auch für uns in Deutschland sinnvoll, wäre das auch bei uns umsetzbar?
Ernsting: Angesichts der hohen Zahlen der Lebensmittelvernichtung bei uns und der gleichzeitigen Produktion auf Vernichtung hin, bei der ein bestimmter Anteil der Lebensmittelauslagen der Geschäfte gar nicht in Anwendung kommt, sondern gleich für die Tonne produziert wird, halte ich es schon für richtig, dass man sich Gedanken macht, wie wir diese Vernichtungszahl möglichst klein halten können.
Vor allem mit Blick darauf, dass sich viele Menschen auch in unserem Land ums tägliche Brot Sorgen machen müssen und Not haben.
DOMRADIO.DE: An der "Gastkirche" in Recklinghausen geben Sie selber Essen an Bedürftige aus. Die Situation ist jetzt noch mal durch den Krieg in der Ukraine und die Getreide-Blockade zugespitzt. Merken Sie was davon? Haben Sie mehr Leute, die Essen benötigen oder kommen Sie schlechter an Lebensmittel als vorher?
Ernsting: Die Nachfrage steigt. Wir haben hier auch die Tafel-Kartenausgabe. Es kommen natürlich viele Flüchtlinge aus der Ukraine, die das Angebot der Tafel in Anspruch nehmen möchten und dafür auch die Voraussetzungen erfüllen. Zugleich ist es so, dass die Geschäfte nicht mehr so die Lebensmittel liefern wie in der Zeit vor Corona. Die Coronazeit spielt da natürlich auch stark mit hinein.
DOMRADIO.DE: Wir haben das Gesetzesvorhaben in Spanien angesprochen. Ob das eins zu eins in Deutschland umsetzbar ist, ist eine andere Frage. Was würden Sie sich an Unterstützung für die Menschen wünschen, mit denen Sie zu tun haben?
Ernsting: Grundsätzlich halte ich den spanischen Ansatz für nicht schlecht, weil er in unserer momentanen Rechtsprechung einen Vorzeichenwechsel auslösen kann. Und er regt zum Nachdenken an.
Der Artikel 1 des Grundgesetzes lautet "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Die Grundbedürfnisse der Ernährung befriedigen zu können, hat auch etwas mit menschlicher Würde zu tun. Da hat der Staat meines Erachtens nach die Aufgabe, einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen zu schaffen, dass bei uns keine Lebensmittel, die Menschen ernähren könnten, im Müll landen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.