Pfarrer Schießler spricht über Zölibat und Zukunft

"Wir müssen uns eine andere Strategie überlegen"

Der katholische Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler lebt seit 25 Jahren in einer besonderen Beziehung zu einer Frau. Den Zölibat empfinde er nicht als Verbot der Liebe, betont er in seinem neuen Buch "Seid ihr noch zu retten?!".

 Pfarrer Rainer Maria Schießler  / © Felix Hörhager (dpa)
Pfarrer Rainer Maria Schießler / © Felix Hörhager ( dpa )

 

DOMRADIO.DE: Um alle Missverständnisse direkt auszuräumen: Wir reden bei Beziehung zu einer Frau nicht von der Gottesmutter Maria?

Rainer Maria Schießler (Pfarrer in Sankt Maximilian in München): Die ist auch sehr intensiv, wie es halt in Bayern üblich ist. Aber hier geht es wirklich um die rein menschliche Beziehung.

Rainer Maria Schießler (Pfarrer in Sankt Maximilian München)

"Hier lebt ein katholischer Pfarrer mit einer Frau in einer sehr engen Verbindung."

DOMRADIO.DE: Sie haben jetzt in einem Buch Ihre Beziehung offengelegt, die Beziehung zu Ihrer Partnerin Gunda, mit der Sie 25 Jahre lang zusammen sind. Sie sind bei ihr eingezogen und es ist tatsächlich keine Zweckgemeinschaft mit einer Haushälterin, sondern eine Liebesbeziehung. 

Schießler: Auf alle Fälle. Ich habe nie den Zölibat als das Verbot einer Liebe empfunden, die ich für einen anderen Menschen empfinden kann. Liebe heißt Gewissenhaftigkeit, Treue, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit im Umgang mit einem anderen Menschen.

DOMRADIO.DE: Und es fehlt eine Komponente, die ihre Paarbeziehung von einer Ehe unterscheidet, nämlich Sie praktizieren keine Sexualität. 

Infos zum Buch "Seid ihr noch zu retten?"

Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler bringt mit seinem Kirchenpfleger Stephan Maria Alof ein neues Buch auf den Markt. Unter dem Titel "Seid ihr noch zu retten?!. Einfach mal machen und so die Kirche verändern" erscheint es am 1. April im Verlag Droemer-Knaur.

Stadtpfarrer Rainer M. Schießler / © Armin Weigel (dpa)
Stadtpfarrer Rainer M. Schießler / © Armin Weigel ( dpa )

Schießler: Wir leben keine Sexualität im Sinne einer konventionellen Ehe. Es stimmt. Nur, was ich gerne auch sage: Wir zölibatären Männer leben ja eine besondere Form der Sexualität. Und ich habe das von Anfang an immer so erfahren, dass es für mich Begegnungen und Berührungen mit anderen Menschen gibt - das kann zum Beispiel eine Umarmung sein - die für mich mehr bedeuten als für jemanden, der völlig frei Sexualität leben kann. Ich habe das mal Judith Rakers gesagt. Da musste sie mich sofort in den Arm nehmen.

DOMRADIO.DE: Ich glaube, ich lehne mich aber nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass sich die Kirche etwas anderes unter Zölibat vorstellt. Aber Sie sagen: Ein Leben in Einsamkeit ist für mich keine Alternative?

Schießler: Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Kirche unter Zölibat Einsamkeit vorstellt. Ganzhingabe ist ein wunderschönes Wort, und die findet ja bei mir ganz genauso statt. Ich habe für mich diese Lebensweise gewählt, nicht um irgendwelche Auflagen zu erfüllen oder Bedingungen der Kirche zu erfüllen, sondern weil ich eine prophetische Existenz leben möchte. Ich möchte zeigen, dass es über dieses Leben hinaus eine Vollendung gibt. Und es gibt nichts Schöneres, als Leben hier zu zeugen, zu bilden, eine Familie zu gründen. Ich verzichte freiwillig darauf, aber ich verzichte nicht - weil das nicht geht, weil es ungesund ist für meine ganze Umgebung - auf die Gemeinschaft, die ich brauche, die keine Zweckgemeinschaft, keine Arbeitsgemeinschaft ist, sondern wirklich auf diesem Vertrauen und auf diesem aufeinander verwiesen und zueinander hingezogen sein - also auf Liebe - gegründet ist. 

DOMRADIO.DE: Ihr Buch heißt "Seid ihr noch zu retten". Wer ist gemeint? Sie und Ihre Partnerin? 

Rainer Maria Schießler, Pfarrer in Sankt Maximilian München

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Kirche unter Zölibat Einsamkeit vorstellt."

Schießler: Alle. Die Kirche, die Welt - jetzt, mit diesem saudoofen Krieg. Als wir diesen Titel letztes Jahr gewählt haben, haben wir nicht gewusst, in welcher Situation wir heute drinstecken. Es ist ja bezeichnend, dass man sich bei diesem Buch wieder auf das Thema Zölibat stürzt. Es geht gar nicht um den Zölibat. Es geht um diesen Pflichtzölibat. Es geht darum, dass man meint, meine freie Lebensentscheidung gesetzlich verankern zu können. Ich habe das nie gesetzlich verstanden. Ich habe es für mich so gewählt. Aber wie weit wir mit dieser gesetzlichen Pflicht gekommen sind, wissen wir ja jetzt. Keine Priesterweihe jetzt in München, leere Priesterseminare, Diözesen lösen ihre Priesterseminare auf. Wir müssen uns doch hier eine andere Strategie - wenn ich es mal so nennen darf - überlegen. 

DOMRADIO.DE: Also würde es der Kirche helfen, wäre der Zölibat eine Frage von Freiwilligkeit und keine Pflicht mehr? 

Schießler: Ich habe den Zölibat als freiwillig empfunden, weil ich dieses Statement für mich so gemacht habe: Er muss mir etwas bringen. Aber es würde natürlich der Kirche etwas bringen, wenn sie die Verkündigung des Evangeliums auf viele Schultern lasten würde, nicht nur auf die verpflichtend unverheirateten Männer, sondern auf die verheirateten Männer. Und natürlich kommen jetzt auch die Frauen ins Spiel. Ich hoffe, dass der Synodale Weg da sehr offensiv weitergeht. Wir beschneiden uns doch selbst, dass wir das Evangelium so eng eingrenzen auf eine ganz bestimmte Personengruppe. 

DOMRADIO.DE: Sie sagen, ein zweites Mal würde die Kirche Sie nicht zum Priester weihen, weil Sie den Zölibat so frei auslegen? 

Schießler: Nein, sondern von meiner ganzen Art und Weise her. Ich bin damals als nachkonziliares Kind in einer Zeit ausgebildet worden, in den 80er-Jahren: Wir lebten nur vom Aufbruch. Uns war eigentlich klar, wir werden in einer Kirche arbeiten, die sich völlig öffnet. Was in den letzten 20, 25 Jahren geschehen ist, das haben wir nicht erwartet. Ich denke, jetzt stehen wir aber wieder an einer Zeitenwende, wie in der Politik. Dass Kirche merkt, sie muss sich wieder - wie damals nach dem Konzil - so weit öffnen, will sie eine Zukunft haben. Dann würde man mich auch wieder weihen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR