DOMRADIO.DE: Was bedeutet Ihnen persönlich der Weltfrauentag?
Theresa Brückner (evangelische Pfarrerin und "Sinnfluencerin" in Berlin): Ich finde, es ist gut, dass es einen Frauentag gibt, der Feiertag ist; und in Berlin ist es ja beispielsweise wirklich sogar ein Feiertag, obwohl wir in Berlin ja mit Feiertagen sehr sparsam sind. Und ich finde das sehr gut, weil jedes Jahr noch mal ganz bewusst an diesem Tag darüber gesprochen wird und darauf geschaut wird, warum es diesen Tag geben muss und wo eigentlich immer noch die Probleme sind. Wo Diskriminierung immer noch vorherrscht und wo wir immer noch nicht gleichberechtigt sind.
DOMRADIO.DE: Das Motto des diesjährigen Frauentags lautet "Break the Bias". Also stoppt die Voreingenommenheit! Die Voreingenommenheit und vor allem Sexismus sind ja auch etwas, was Sie als evangelische Pfarrerin erleben mussten, oder?
Brückner: Ja, ganz viel. Also als Frau im Pfarramt zu arbeiten, bedeutet automatisch, dass man immer diskriminiert wird, weil ganz oft gesagt wird, Frauen können bestimmte Dinge nicht so gut. Oder es wird einem gesagt, man hätte als Frau an dieser Stelle auf der Kanzel oder in der Verkündigung nichts zu suchen und dürfe da nichts erzählen. Und das passiert ganz automatisch, ziemlich regelmäßig. Und es ist verrückt, weil es meinen männlichen Kollegen nicht so geht. Deshalb spreche ich darüber auch immer wieder ganz offen, weil das etwas ist, was oftmals die Leute dann gar nicht auf dem Schirm haben – ihre eigenen Privilegien, gerade wenn sie dann Männer sind.
DOMRADIO.DE: Sie sind auch Digital-Pfarrerin, wie sind denn die Rückmeldungen, wenn Sie diese Erfahrung so offen und vor allem transparent teilen?
Brückner: Also Männer sind oftmals immer noch schockiert, einerseits über die Tatsache, dass andere Männer sich so was erlauben oder auch über die Tatsache, dass mir das passiert. Und Frauen sind oftmals dankbar, weil sie sagen, über ihre eigenen Erfahrungen trauen sie sich manchmal gar nicht so zu sprechen, weil das in ihrem eigenen Arbeitsumfeld gar nicht so leicht ist oder weil sie selbst den Mut noch gar nicht haben oder das vielleicht selbst in ihrer Situation noch gar nicht so gesehen haben. Deshalb ist es immer ganz unterschiedlich. Aber grundsätzlich muss ich sagen: Es ist etwas, was Leute empowert und Mut macht.
DOMRADIO.DE: Sie sind als Digital-Pfarrerin Expertin für soziale Medien und den digitalen Raum. Ist denn Sexismus und Diskriminierung vor allem im digitalen Raum etwas, was Frauen begegnet?
Brückner: Also auf jeden Fall auch ganz viel, weil es immer noch mal eine andere Form von Öffentlichkeit ist. Und wenn man sich als Frau in die Öffentlichkeit begibt, egal in welche, dann wird man immer grundsätzlich diskriminiert. Man steht auch irgendwie nie als Person für sich, sondern man steht immer gleich für das ganze Geschlecht. Also ob man sich da gut verhält, für jemanden im Auge des Betrachters oder nicht, bedeutet immer auch gleichzeitig Rückschlüsse dann auf alle anderen Frauen. Und dementsprechend hat das ganz viel damit zu tun, dass Leute im Digitalen sich natürlich auch noch mal schneller trauen, da irgendwie etwas zu sagen, was sie einem gar nicht so persönlich ins Gesicht sagen würden.
DOMRADIO.DE: Es gibt also noch viele Baustellen, die angegangen werden müssen, damit Frauen endlich frei von Diskriminierung und Ungleichheit leben können. Was sind denn die wichtigsten Baustellen in Ihren Augen?
Brückner: Am 7. März war Equal Pay Day. Also Frauen haben in Deutschland bis zum 7. März im Schnitt zwar gleich viel gearbeitet, aber kostenlos sozusagen, weil sie weniger verdienen. 18 Prozent weniger insgesamt. Und das ist halt wirklich krass, wenn man sich das überlegt. Das sind fast drei Monate und das ist, finde ich immer noch was, was angeglichen werden muss. Grundsätzlich gilt es immer noch darüber, dass Frauen grundsätzlich besser geschützt werden müssen. Also wenn wir schauen, dass im Schnitt 92 Prozent aller sexualisierten Übergriffe Frauen passieren, dann ist es einfach etwas, was zeigt, dass sich Männer einfach immer noch zu viel rausnehmen, wo sie denken, man könne das ja mit Frauen machen. Und das ist einfach gruselig, dass das heutzutage immer noch so ist. Und deshalb müssen wir uns ja immer noch viel, viel mehr dafür einsetzen, Frauen zu schützen.
DOMRADIO.DE: In diesem Jahr denken wir am Internationalen Frauentag ja vor allem auch an die Frauen und Mütter, die aus der Ukraine fliehen müssen. Was macht das mit Ihnen, wenn Sie diese Bilder und Nachrichten täglich sehen?
Brückner: Es erschüttert mich zutiefst. Es macht mich wahnsinnig nachdenklich und traurig. Gerade wenn man sieht, wie die auch mit Kindern flüchten oder auch alleine, ist es einfach Wahnsinn, was es macht. Und ich finde, gerade im Blick auf Schutz und im Blick darauf, wie man diesen Menschen sowohl vor physischer als auch psychischer Gewalt hilft, ist es ein Punkt, der ganz dringend angegangen werden muss. Und wo wir uns unbedingt ansetzen müssen.
Das Interview führte Julia Reck.
Hinweis: Youtube-Kanal von Theresa Brückner.