DOMRADIO.DE: Sie haben jemanden getroffen, der mit dem Rollator gepilgert ist. Wie war das?
Beate Steger (Pilgerexpertin und Autorin): Es war beeindruckend. Vor allem, weil er unheimlich viel über die Arme machen muss. Peter Tschöpe lebt in Kehl und ist 80 Jahre alt. Erstmals habe ich von ihm im Fernsehen gehört. Im SWR gab es einen Beitrag über ihn, weil es etwas Besonderes ist.
Er war auf dem Kinzigtäler Jakobsweg im Schwarzwald unterwegs, 130 Kilometer lang. Von der Länge her ist es nicht so wahnsinnig viel, aber er hat 3.700 Höhenmeter. Das ist selbst für jemanden, der normalerweise gut zu Fuß ist, eine Hausnummer. Dass er diesen Weg mit dem Rollator gegangen ist, hat mich sehr beeindruckt.
DOMRADIO.DE: Ich finde es nachvollziehbar, dass man, wenn man sich sehr anstrengt, die Steigung mit einem Rollator irgendwie schafft. Aber ich stelle es mir schon gefährlich vor, wenn es wieder runter geht.
Steger: Ja, das hat er mir auch gesagt. Nach unten ist es zum Teil richtig schwierig. Er hat zwar Bremsen an seinem Rollator. Aber das Problem für Peter Tschöpe ist, dass seine Beine teilweise gelähmt sind, immer weiter aufsteigend. Deswegen ist er auf den Rollator angewiesen.
In den Füßen spürt er mittlerweile nichts mehr. Er braucht irgendetwas, woran er sich festhalten kann, damit er überhaupt stehen bleibt. Das ist natürlich schwierig. Am Anfang hat er seine Brüder dabeigehabt, um es auszuprobieren. Mittlerweile geht er auch alleine.
DOMRADIO.DE: Seine Geschichte war im süddeutschen Raum eine Sensation. Sie haben es gesagt, das Fernsehen hat einen Film über ihn gedreht. Welche Motivation hat der Mann, trotz Lähmung alleine mit dem Rollator durch die Berge zu pilgern?
Steger: Er ist schon früher sehr gerne gewandert. Er war mit der Familie im Urlaub, im Berner Oberland. Sie haben schon damals anspruchsvolle Touren gemacht. Es war ihm klar, das hört man auch immer wieder, man bleibt nur dann gesund, wenn man aktiv ist und etwas für seinen Körper tut, wenn man in Bewegung bleibt.
Nach der Diagnose war er erstmal rund um seinen Heimatort unterwegs, rund um Kehl. Das wurde ihm dann aber schnell zu langweilig, hat er mir gesagt. Er wollte weiter nach draußen. Dann bekam er ein Buch in die Hände: "Mein Licht, meine Stille. Quer durch den Schwarzwald. Der Kinzigtäler Jakobusweg." Daraufhin hat er sich gesagt: Mensch, das ist es. Da möchte ich unbedingt hin.
DOMRADIO.DE: Er hat sich keinen Asphaltweg gesucht, einen ebenen und geraden Weg, von dem man sagt, der ist barrierefrei, den kann man schaffen. Er hatte unterwegs mit seinem Rollator viele Schwierigkeiten zu meistern. Inwiefern?
Steger: Er lief über die ganz normalen, schmalem Waldwege, auch über Pfade, wo es eben hoch und runter geht, über Steine, über Wurzelwerk. Dadurch hat er den Rollator-Weitwurf erfunden. Das hat er mir vorgemacht. Er wirft den Rollator ein Stück nach vorne, behält ihn aber noch in der Hand. Soweit bis er sich in den Steinen, in den Wurzeln verfängt. Dann zieht er sich da hinterher. Dementsprechend hat er sehr gut ausgebildete Oberarme. Man sieht, dass er diesen Rollator-Weitwurf des Öfteren einsetzen muss.
DOMRADIO.DE: Ist er dabei auch schon gefallen?
Steger: Ja, ist er. Die größte Schwierigkeit für ihn ist aber das Übernachten, barrierefreie Unterkünfte zu finden. Gerade Bäder sind da so eine Sache. Seinen größten "Unfall" hatte er nicht auf dem Weg, sondern weil er in die Badewanne gefallen ist, da es keine Dusche und nichts, um sich festzuhalten, gab. Das war das größte Problem beim Pilgern.
DOMRADIO.DE: Ich habe noch die Geschichte einer pensionierten Lehrerin in Norddeutschland gefunden, die nach mehreren Schlaganfällen nach Santiago gepilgert ist. Zehn Kilometer am Tag und alle zwei Kilometer musste sie sich hinsetzen, also in einem recht langsamen Tempo. Unglaublich starke Menschen, oder?
Steger: Ja, absolut! Ich kann da noch Gerhilde Fleischer anführen. Die hat in den 1990er Jahren, selber Jakobswege erkundet und ausgeschildert. Im süddeutschen Raum rund um Nürnberg war sie unterwegs. Sie ist letztes Jahr noch mal auf dem Jakobsweg in Spanien gepilgert.
Da war sie, glaube ich, 86 Jahre alt, ihre Freundin, die mitgekommen ist, war 94 Jahre alt. Die Freundin konnte ohne Hilfsmittel laufen, die hat einfache Stöcke dabeigehabt. Aber Gerhilde Fleischer hatte einen Rollator mit sich. Die beiden waren natürlich bekannt wie die bunten Hunde. Jeder auf dem Jakobsweg in Spanien wusste, da kommen zwei ältere Damen und haben sie auch dementsprechend in Empfang genommen bei den Pilgerherbergen.
DOMRADIO.DE: Steigungen und Gefälle sind wahrscheinlich das Schwierigste. Gibt es vielleicht schon extra ausgebaute Streckenabschnitte zum Pilgern mit dem Rollator?
Steger: Ja, die gibt es. Es gibt mittlerweile richtig barrierefreie Pilgerwege. Die sind für Rollstuhlfahrer ausgelegt. Ich habe selber einen Pilgerführer geschrieben für die Strecke von Worms nach Lauterburg. Dann gibt es zum Beispiel den Camino Incluso, vom Odenwald bis nach Heidelberg. Die sind dementsprechend angelegt.
Aber Peter Tschöpe möchte solche Wege nicht gehen, die extra für Rollatoren oder für Rollstuhlfahrer gemacht sind. Er will dort unterwegs sein, wo die anderen auch laufen.
DOMRADIO.DE: Wenn man nicht mehr gut laufen kann, hat man vielleicht das Gepäck ungern auf dem Rücken, sondern eher am Rollator hängen. Aber dann kann man nur sehr wenig mitnehmen, oder?
Steger: Peter Tschöpe trägt seinen Rucksack tatsächlich auf dem Rücken, weil er spezielle Schuhe braucht, damit er abends ins Bad kommen kann. Jeder einzelne dieser Hausschuhe wiegt, etwa zwei Kilo. Don daher ging das gar nicht auf dem Rollator. Es ist tatsächlich ziemlich schwierig.
Aber ich habe vor kurzem von einem gelesen, der sich einen Turbo-Rollator gebaut hat. Der ist damit auch im Gelände unterwegs. Ich glaube, da ist in Zukunft noch einiges zu erwarten.
Das Interview führte Dagmar Peters.