In deutschen Krankenhäusern rumort es. "Patienten sind zu Wirtschaftsfaktoren geworden, sind Fallzahlen und Kostenfaktoren" schrieb die Krankenschwester Jana Langer Anfang Januar auf Facebook in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Menschen sind sie keine mehr, und sie als solche zu behandeln unmöglich. Eine menschenwürdige Arbeit zu verrichten ist nicht mehr möglich." Sie selber sei vor 20 Jahren hoch motiviert in ihren Beruf gegangen. Doch "gefährliche Pflege (bedingt durch Personalmangel) bringt jeden an seine noch leistbare Grenze."
Der Personalschlüssel in deutschen Krankenhäusern ist mittlerweile zu einem wichtigen Thema der Gesundheitspolitik geworden. In der 2015 verabschiedeten Krankenhausreform hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) das Thema Qualität zu einem zentralen Ziel erhoben. Seit diesem Jahr werden die Kliniken durch einen Pflegezuschlag unterstützt. Er soll ab 2019 um die Mittel des Pflegestellen-Förderprogramms ergänzt werden und damit von bisher 500 Millionen Euro auf bis zu 830 Millionen Euro pro Jahr anwachsen.
Festlegung von Pflegepersonal-Untergrenzen
Zugleich gibt es aber eine breite Debatte darüber, ob ein gesetzlich festgelegter Personalschlüssel Arbeitsüberlastung und Qualitätsmängel lindern könnte. Die deutsche Gesundheitspolitik bewegt sich jetzt zumindest ein Stück in diese Richtung: Gröhe (CDU) und Gesundheitsexperten der großen Koalition und der Länder haben Schlussfolgerungen aus den Beratungen der Expertenkommission "Pflegepersonal im Krankenhaus" vorgelegt.
Der zentrale Punkt: In Krankenhausbereichen, in denen dies aus Gründen der Patientensicherheit besonders notwendig ist, sollen Pflegepersonal-Untergrenzen festgelegt werden. Das gilt insbesondere für Intensivstationen und beim Nachtdienst. Konkrete Zahlen gibt es noch nicht: Stattdessen wurde die Selbstverwaltung von Krankenhäusern und Krankenkassen verpflichtet, sich auf Untergrenzen zu einigen. Die Vereinbarung soll bis Ende Juni 2018 getroffen und 2019 wirksam werden. Sollte bis zum 30. Juni 2018 keine Vereinbarung zustande kommen, entscheidet das Ministerium.
Unbestritten ist: Wenn Pflegepersonal in Krankenhäusern überarbeitet ist und sich um zu viele Patienten kümmern muss, drohen schlimme Folgen. Dabei liegt Deutschland nach Gewerkschaftsangaben gegenüber vielen Ländern weit zurück bei der Personalausstattung. Ein Pfleger kümmere sich hier im Schnitt um 13 Patienten, in den USA seien es 5,3, in der Schweiz und Schweden knapp 8, heißt es in einer Studie, die allerdings vom Bundesgesundheitsministerium als nicht-repräsentativ kritisiert wird. Eine Sprecherin verwies auf Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, nach denen eine Vollzeitkraft 2015 durchschnittlich 5,9 Betten pro Arbeitstag versorgt habe.
Starker Pflegekräftemangel
In jedem Fall wollen Gewerkschaften und Berufsverbände das Wahljahr 2017 nutzen, um auf ihrer Ansicht nach gravierende Mängel aufmerksam zu machen. "Seit Jahren ist die Pflegepersonalbemessung in deutschen Kliniken höchst problematisch und nicht einmal annähernd auf dem Niveau anderer europäischer Staaten", sagt beispielsweise Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK).
Pflegemängel, Defizite bei der Hygiene, Kommunikationsfehler, ungenügende Patientensicherheit und eine "Abfertigung am Fließband" seien die Folgen.
Glaubt man der Gewerkschaft verdi, fehlen in den Kliniken 70.000 Pflegekräfte. Die durchschnittliche Zahl der Patienten pro Pflegekraft sei in den Kliniken zwischen 1994 und 2014 von 45 auf 60 gewachsen, teilte das Statistische Bundesamt im Juli mit. Die Zahl der Pflegekräfte ging demnach um knapp sieben Prozent zurück, von rund 342.300 auf etwa 318.700.
Das hat auch gravierende Folgen für die Arbeitszufriedenheit: Laut DGB geben mehr als 60 Prozent der befragten Pflegekräfte in Krankenhäusern an, sie hätten das Gefühl, in den letzten zwölf Monaten mehr Arbeit in der gleichen Zeit schaffen zu müssen als früher. "Der Anteil derjenigen, die sich in der Arbeit gehetzt fühlen, liegt mit 93,4 Prozent extrem hoch", schreiben die Autoren einer Studie.