Politikwissenschaftler über österreichische Burschenschaften

"Antisemitismus ein chronisches Problem"

In Österreich gibt es seit einer Woche einen Skandal um ein Liederbuch einer Burschenschaft, in dem die NS-Zeit verherrlicht wird. Politikwissenschaftler Bernhard Weidinger bescheinigt den Burschenschaften ein Problem mit Rechtsextremismus.

Mitglieder von Burschenschaften / © Barbara Mayrhofer (KNA)
Mitglieder von Burschenschaften / © Barbara Mayrhofer ( KNA )

DOMRADIO.DE: Hat Sie der aktuelle Skandal überrascht? 

Dr. Bernhard Weidinger (Politikwissenschaftler, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien): Diese Frage ist mir in den letzten Tagen sehr häufig gestellt worden. Und ich muss sagen: In gewisser Weise schon. Es war zwar anzunehmen, aufgrund der vielfältigen Verstrickungen der österreichischen Burschenschaften mit dem Rechtsextremismus, dass solche Dinge passieren. Aber wirklich in dieser extremen Ausprägung hätte ich NS-Verherrlichung auch in diesen Kreisen nicht erwartet. Seit das aber öffentlich wurde, kommt auch einiges andere ans Tageslicht. Ich gehe davon aus, dass wir in der nächsten Zeit auch noch mehr erfahren werden.

DOMRADIO.DE: Sie gehen also auch von einem landesweiten Problem aus, das sich nicht nur auf diese eine Burschenschaft beschränkt? 

Weidinger: Das burschenschaftliche Lager und die FPÖ als seine politische Repräsentanz hat natürlich ein Interesse daran, das möglichst zu Einzelfällen zu erklären. Ursprünglich hieß es ja auch in dieser Causa, es sei nur eine einzelne Person dafür verantwortlich. Diese Aussage ist aber inzwischen schon überholt. Das heißt, ja, wenn auch möglicherweise nicht in dieser extrem zugespitzten Ausformung, ist es tatsächlich so, dass das Verhältnis zum Nationalsozialismus und Antisemitismus chronische Probleme sind, die das österreichische Burschenschaftswesen verfolgen. 

DOMRADIO.DE: Es gibt ja auch nicht wenige katholische Burschenschaften und Studentenverbindungen. Haben die denn mit den gleichen Problemen zu kämpfen?

Weidinger: Hier gab es doch 1945 eine sehr deutliche Zäsur. Vor 1945 und vor der Zeit des Nationalsozialismus gab es in Österreich tatsächlich auch im katholischen Verbindungswesen eine sehr schwerwiegende Antisemitismus-Problematik. Allerdings hat man die NS-Erfahrung in diesem Lager doch deutlich anders verarbeitet als im Lager der deutschnationalen Verbindungen - auch, weil die katholischen Verbindungen während der Zeit des Nationalsozialismus tatsächlich zerschlagen wurden. Nicht wenige der Mitglieder wurden auch in KZs gebracht und ermordet und nicht wenige waren auch im Widerstand. 

Deshalb hat es hier etwa beim Cartellverband (CV), als dem wichtigsten Verband nach 1945, doch eine sehr klare Abgrenzung gegeben und man hat sich auch vom Antisemitismus zumindest weitestgehend verabschiedet. Es gibt im katholischen Verbindungswesen in Österreich aber noch so etwas wie einen rechten Rand, wo eine katholische Form des Antisemitismus und Antijudaismus nach wie vor gepflegt wird. Es ist aber eine Randerscheinung. 

DOMRADIO.DE: Jetzt hat der aktuelle Burschenschafts-Skandal auch eine politische Dimension, die auch die Grenzen der FPÖ verlässt. Bei dem Liederbuch soll auch ein SPÖ-Mitglied die Karikaturen gezeichnet haben. Was sagt das über die österreichische Politik aus? 

Weidinger: Was die SPÖ betrifft, ist es so, dass sie tatsächlich nach 1945 keine klare Abrenzung vollzogen hat. Sie hat etwa immer wieder bei Postenbesetzungen auf Burschenschaftler zurückgegriffen - aufgrund von Personalmangel. Das heißt, man stand in der Sozialdemokratie vor der Situation, dass ein großer Teil der eigenen Elite und der Akademikerschaft vertrieben oder ermordet worden war. Und anstatt sich darum zu bemühen, die Exilierten zurückzuholen, hat man dann im Zweifelsfall auch mal auf Burschenschaftler gesetzt, weil die zumindest ein wesentliches Kriterien erfüllt haben: Nämlich, dass sie verlässliche Antiklerikale waren.

Allerdings bin ich schon davon ausgegangen, dass das eine Problematik ist, die sich in den letzten Jahrzehnten weitestgehend erledigt hat. Es hat im Bereich der Sozialdemokratie durchaus Initiativen gegeben für eine selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Rolle bei der gesellschaftlichen Reintegration von Nationalsozialisten. Es gab in den letzten Tagen aber zwei Fälle, wo die SPÖ aufgrund von vermuteten Verstößen gegen das NS-Verbotsgesetz Mitglieder ausgeschlossen hat.

Das Interview führte Christoph Paul Hartmann.


Demo gegen die Vereidigung von FPÖ-Burschenschaftlern im Parlament / © Herbert Pfarrhofer (dpa)
Demo gegen die Vereidigung von FPÖ-Burschenschaftlern im Parlament / © Herbert Pfarrhofer ( dpa )
Quelle:
DR