domradio.de: Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert kam auf die Idee, das Gedenken an die 25.000 Dresdner Bombentoten vom 13. Februar 1945 mit dem an die Kriegsopfer von heute zu verknüpfen - anhand einer Kunstinstallation. Damit ist er schon vor dem Jahrestag auf heftige Kritik gestoßen - vor allem aus rechten Kreisen. Drei rostige Busse, hochkant aufgestellt vor der Dresdner Frauenkirche - "Monument" nennt der deutsch-syrische Künstler Manaf Halbouni seine Skulptur, inspiriert in einer Busblockade während der Angriffe auf Aleppo. Und eben diese Skulptur stößt jetzt auf heftige Abwehrreaktionen. Warum?
Professor Werner J. Patzelt (Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden): Hier kommen verschiedene Gründe zusammen. Zum einen beschweren sich viele Leute darüber, das sei gar kein Kunstwerk, sondern Schrott. Das sind die üblichen Schwierigkeiten von Leuten mit modernen Ausdrucksformen von Kunst. Das Andere ist eine Debatte darüber, ob man denn, wenn man im öffentlichen Raum so etwas bis zum April hinstellt, nicht zuvor mit der Bürgerschaft in einen Dialog eintreten müsse, was dadurch befördert wird, dass in Dresden an etlichen Stellen zusätzliche Geländer aufgestellt worden sind, weil angeblich die historischen nicht den Sicherheitsbestimmungen genügten. Da verknüpft sich also innerstädtischer Kleinkram mit großen Aktionen. Und zum dritten brandet in der Debatte um diese drei aufgestellten Busse natürlich der Streit auf zwischen den Eliten der Stadt und der aufmüpfigen Bevölkerung, die zu Pegida geht oder mit Pegida sympathisiert. Zumal die pädagogische Absicht des Oberbürgermeisters unverkennbar ist. Kurzum: Da ist ein neuralgischer Punkt Dresdens getroffen worden.
domradio.de: Sie erwähnen die pädagogische Absicht, das heißt, das ist schon als Reibungspunkt gedacht?
Patzelt: Ja, genau so ist es. Dieses Monument vor der Frauenkirche geht einher mit einer anderen Kunstaktion vor der Semperoper, wo symbolisch Gräber für ertrunkene Mittelmeerflüchtlinge aufgestellt werden sollen. Im Grunde empfinden viele in Dresden, dass das Gedenken an die Zerstörung der eigenen Stadt überlagert werden soll durch aktuelles Kriegsgedenken und das Ganze verbunden werden soll mit einem erhobenen Zeigefinger, dergestalt, dass die Dresdner sich doch nicht über ihre eigene Stadt und ihr Schicksal Gedanken machen sollten, sondern um die Weltpolitik, auf die sie bislang – fremdenfeindlich und islamophob – falsch reagiert hätten. Und wiederum sieht man, dass hier vieles zusammengerührt wird, was insgesamt keine gute Melange ergibt.
domradio.de: Oberbürgermeister Hilbert steht schon länger im Kreuzfeuer rechter Aggression, weil er in einem Zeitungsinterview klar gesagt hat: "Es gibt immer noch Versuche, die Geschichte umzudeuten und Dresden in einem Opfermythos dastehen zu lassen. Dresden war keine unschuldige Stadt." Hilberts Haus steht seitdem unter Polizeischutz. Was sagt das über die politische Atmosphäre in der Stadt?
Patzelt: Dieser notwendige Polizeischutz für den Oberbürgermeister zeigt sehr wohl, dass es in dieser Stadt nicht nur eine Menge Dummköpfe, sondern auch eine Menge Leute mit krimineller Energie, die in einer ganz und gar inakzeptablen Weise einen Streit in der Sache in Bedrohungen von Personen verwandeln. Ansonsten ist es ein geschichtspolitisches Dauerthema in Dresden. Die Frage ist, ob Dresden sozusagen voll und ganz zu Recht zerstört worden sei, weil es einen der hetzerischsten NS-Gauleiter hatte, ob man eigentlich also sozusagen im Dienst an der deutschen Läuterung sogar dankbar sein müsse für die Zerstörung von Dresden. Oder ob auch die Zerstörung von Dresden ein Kriegsverbrechen gewesen sei, das sich gerade in der Endphase des Krieges gar nicht mehr taktisch-strategisch "gelohnt" hätte. Das ist auch eine Dauerdebatte, die immer wieder funktionalisiert wird.
domradio.de: Wissen Sie, wie sich die Kirchen in dem Streit um die richtige Erinnerungskultur positionieren?
Patzelt: Die Kirchen stehen auf Seiten der aufgeklärten, liberalen, fortschrittlichen, westdeutschen Eliten, die sagen: "Ihre Dresdner, nehmt das Schicksal eurer Stadt nicht so ernst! Bettet euch lieber ein in den Protest gegen gegenwärtige Kriege, denn dort liegen politische Gestaltungsaufgaben!" Obendrein halten sie diejenigen, die ein Sonderschicksal von Dresden beklagen, für irgendwie rückständig und ewig gestrig und rechts und sagen: "Das gehört sich für einen ordentlichen Christenmenschen nicht!" Das ist eine Position, die aus der Minderheitenposition der christlichen Kirchen in Dresden verständlich ist, die aber die Vorbehalte der überwiegend agnostisch-atheistischen Stadtgesellschaft gegenüber den Kirchen noch weiter verstärkt.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.