Polnischer Theologe sieht Polen nicht als anti-muslimisch

Durch die Brille der Attentate

Die polnische Bevölkerung beschäftigt sich nur wenig mit dem Islam - weil es kaum muslimische Mitbürger gibt. Deshalb gebe es Ängste vor Flüchtlingen, sagt der polnische Theologe und Journalist Thomas Kycia im domradio.de-Interview.

Die neue polnische Premierministerin Beata Szydlo / © Radek Pietruszka (dpa)
Die neue polnische Premierministerin Beata Szydlo / © Radek Pietruszka ( dpa )

domradio.de: Das Thema Flüchtlinge hatte ja auch schon im Wahlkampf eine große Rolle gespielt. Hat die nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" Profit geschlagen aus der Angst vieler Polen vor muslimischen Männern?

Thomas Kycia (Polnischer Journalist und Theologe): Ich glaube schon, dass die Partei "Recht und Gerechtigkeit" ein wenig auf der Welle der Diskussion um Flüchtlinge mitgeschwommen ist. Auch wenn sie das so nicht zugeben wird. Die Polen haben tatsächlich Angst. Es ist anders als in Köln oder Berlin. In Polen leben etwa 10.000 bis 15.000 Muslime. Das ist etwa ein Prozent der Bevölkerung. Die meisten leben im Nordosten Polens, man sieht sie nicht überall im Land. Die Polen beschäftigen sich ganz wenig mit dem Islam. Das Thema ist völlig neu und ein wenig ist die Gesellschaft davon überrollt worden.

domradio.de: Was sagt die Kirche in Polen zur polnischen Flüchtlingspolitik?

Kycia: Die polnischen Bischöfe haben sich erstaunlicherweise zu Wort gemeldet, und zwar nicht nur einmal. Noch vor Papst Franziskus haben sie die Flüchtlingspolitik angestoßen. Schon Anfang September hat der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Stanislaw Gadecki, gesagt, dass alle Pfarrgemeinden in Polen Flüchtlinge aufnehmen sollen. Auch andere polnische Bischöfe haben dazu aufgerufen. Das war noch vor der Wahl. In zahlreichen Bistümern wurden Vorbereitungen getroffen. Jugendfreizeitheime zum Beispiel wurden mit Hilfe von Renovabis renoviert und für Flüchtlinge bereitgestellt. Jetzt gab es mit der Wahl die politische Wende.

domradio.de: Die neue nationalkonservative Regierung hat die Flüchtlingspolitik direkt verschärft. Was sagt die katholische Kirche dazu?

Kycia: Die Flüchtlinge werden immer wieder von den Bischöfen thematisiert. Aber sie haben in der heißen Phase des Wahlkampfs aufgepasst, wie sie die Akzente setzen. Sie wollten keiner Partei helfen. Aber sie haben zum Beispiel am letzten Sonntag gemeinsam mit den deutschen Bischöfen zur Unterstützung der Flüchtlinge in ganz Europa aufgerufen. Damit sind auch die polnischen Pfarrgemeinden gemeint.

domradio.de: In westlichen Medien hat man oft den Eindruck, dass es eine große Nähe der polnischen Kirche zur Partei "Recht und Gerechtigkeit" gibt...

Kycia: Das ist durchaus geteilt. Die polnische Bischofskonferenz steht nicht stramm hinter dieser Partei. Selbst im polnischen Episkopat gibt es Bischöfe, die eher zur Bürgerplattform neigen. Andererseits gibt es einige, die sogar so weit gehen und in Predigten die Partei "Recht und Gerechtigkeit" verteidigen. Man kann nicht davon sprechen, dass polnische Kirche insgesamt die Regierungspartei unterstützt.

domradio.de: Kann man trotzdem sagen, dass die Bischöfe, die auf Seite der Regierungspartei stehen, in einen Konflikt geraten? Die Flüchtlingspolitik der neuen polnischen Regierung steht ja im Gegensatz zu dem, was Papst Franziskus fordert.

Kycia: Ich kann mir vorstellen, dass es da in der Tat einen Gewissenskonflikt gibt. Aber Gewissenskonflikte löst bekannterweise jeder mit sich selbst. Ich hoffe, dass diese Bischöfe sich überlegen, welche Töne sie anschlagen. Ich will aber nochmal darauf hinweisen, dass in Polen in der öffentlichen Debatte die Angst viel größer ist als in Deutschland. Die Polen haben wirklich Angst, sie wissen nicht, was auf sie zukommt. Sie kennen keine muslimischen Mitbürger und schauen meistens durch die Brille der Attentate. Das macht die Sache natürlich nicht leichter. Man kann der polnischen Öffentlichkeit nicht vorwerfen, dass sie anti-muslimisch ist.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR