domradio.de: Welche Rolle nimmt die Stimme der Kirche in diesem Bundestagswahlkampf ein?
Prälat Karl Jüsten (Leiter des Katholischen Büros Berlin): Die Kirchen, besonders die Bischöfe, haben sich seit geraumer Zeit zurückgehalten, was Wahlempfehlungen betrifft. In diesem Jahr gibt es zum ersten Mal eine ökumenische Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Ratsvorsitzenden zur Bundestagswahl. Aber sie beschränken sich im Großen und Ganzen darauf, zur Wahl aufzurufen und die Bürger zu animieren von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, weil sie zu Recht sagen, dass eine große Wahlbeteiligung die Demokratie stärkt und dass der Bürger die beste Möglichkeit hat Einfluss zu nehmen auf die konkrete Politik und auf die Gestaltung des Landes.
Von daher ist das ein wichtiger Impuls gewesen. Dann gibt es einzelne Kirchenorganisationen, die Wahlprüfsteine aufschreiben wie die Jugend, die KAB oder Justitia et Pax, die aus ihrem jeweiligen Blickwinkel Fragen an die Politik richten. Auch die formulieren keine konkrete Wahlempfehlung, wie der Wähler sich verhalten soll, aber sie nennen Kriterien, wonach sich der Bürger bei der Wahl richten kann.
domradio.de: Auf der einen Seite heißt es, es ist so eng und spannend wie nie zuvor, wie Bundeskanzlerin Merkel sagte. Auf der anderen Seite wird immer wieder die Langeweile bemängelt. Prälat Jüsten, haben Sie ein Thema ausgemacht, dass für die Kirchen im Wahlkampf besonders interessant ist?
Jüsten: Also langweilig finde ich den Wahlkampf überhaupt nicht, im Gegenteil, er ist hochspannend. Was nicht ist und das finde ich eigentlich positiv, dass sich die Parteien, die miteinander konkurrieren, hart angehen oder sich persönlich diffamieren, sondern sie gehen sehr anständig und gut im Ton um. Das ist übrigens auch eine bischöfliche Forderung gewesen. Von daher ist es eher ein Zeichen einer guten demokratischen Kultur, wie der Wahlkampf geführt wird.
Wenn Medien das langweilig finden, weil sie nichts Spannendes zu berichten haben oder nicht von irgendwelchen Exzessen berichten können, ist das das Problem der Medien, aber nicht des Wahlkampfes. Themen, die auf der Straße liegen, gibt es genügend. Sie brauchen ja nur die diversen Talkshows anzuschauen. Da scheint ein großes Thema nach wie vor zu sein, wie integrieren wir die Flüchtlinge am besten in unserem Land? Wie sollen wir uns überhaupt in unserem Land verhalten zu dem Thema Einwanderung und Zuwanderung? Brauchen wir vielleicht ein Einwanderungsgesetz? Digitalisierung ist ebenfalls ein großes Thema. Es ist kein Gassenhauer, aber jeder Bürger ist davon extrem betroffen – wenn der Bürger nicht teilhaben kann, an der Digitalisierung ist er abgehängt.
Ein weiteres, sehr großes wichtiges Thema ist die Bildungspolitik. Für uns als Kirchen sind natürlich auch die großen Fragen der internationalen Zusammenarbeit und die Frage von Krieg und Frieden besonders wichtig. Rüstungsexporte sind für uns eine wichtige Fragestellung – was haben die Parteien vor, wollen sie die Rüstungsexporte eindämmen? Wir machen die Erfahrung, dass überall da, wo Rüstung hingelangt, hinterher die Situation nicht friedlich ist. Der Lebensschutz ist für uns als Kirchen ein ganz wichtiges Thema. Natürlich die Frage, wie haltet ihr es mit dem christlichen Menschenbild? Seid ihr für Diffamierung, seid ihr für Ausgrenzung oder entsprecht ihr unseren Forderungen des Evangeliums, dass kein Mensch verloren gegeben werden darf, egal wo er herkommt, egal woher er abstammt? Also, es sind spannende Themen.
domradio.de: Ein Thema, das schon vor dem Wahlkampf abgeräumt wurde, ist das Thema „Ehe für alle“. Was denken Sie darüber?
Jüsten: Wir haben vor allem die Art und Weise, wie das Thema abgeräumt worden ist, sehr bedauert. Denn das Problem ist eigentlich geblieben: Was ist Ehe, was ist Familie? Da haben wir als Christen eine eindeutige Haltung, nämlich, dass es nur eine Verbindung zwischen Mann und Frau sein kann und dass die Ehe der ideale Ort ist, um eine Familie zu gründen. Das sind unsere Ideale. Wenn der Staat das anders sieht und andere Regelungen treffen möchte, dann ist das seine Sache. Deshalb werden wir aber weiter für unsere Ideale eintreten. Auch wenn das jetzt im Wahlkampf kein Thema mehr ist.
domradio.de: Sie stehen in Kontakt mit den Abgeordneten, den Fraktionen. Zum ersten Mal wird nach dieser Wahl höchstwahrscheinlich die AfD mit im Bundestag sitzen, aber auch die FDP wird wahrscheinlich wieder vertreten sein. Haben Sie schon die ersten Kontakte geknüpft?
Jüsten: Wir hatten natürlich Kontakte über das Europäische Parlament. Da ist sowohl die AfD als auch die Partei Alfa vertreten, die Abspaltung von der AfD. Die FDP ist dort ebenfalls drin. Mit den demokratisch gewählten Parlamentariern haben wir immer unsere Kontakte gehalten. Die FDP hat von sich aus versucht, sehr gute Kontakte zu halten. Sie haben ein neues Kirchenpapier gemacht, das wesentlich kirchenfreundlicher ist als alles, was vorher da war. Gleichwohl ist die FDP immer noch eine Partei mit der wir uns schwer tun, weil sie im Bereich des Lebensschutzes nach wie vor ihren liberalen Ideen anhängt.
Wir haben etwa festgestellt, dass die FDP das Embryonenschutzgesetz aufweichen will, was wir partout nicht wollen, weil es sich im Großen und Ganzen bewährt hat. Die FDP will an den Sonntagsschutz heran. Da sind wir im Gespräch mit der FDP, aber das kritisieren wir genauso wie wir bei anderen Parteien kritisieren, wenn wir mit ihnen nicht übereinstimmen. Bei der AfD stimmen wir mit dem Menschenbild nicht überein, weil wir sagen, aus dem christlichen Menschenbild heraus darf ich Menschen nicht diffamieren, bloß weil sie einer anderen Nation angehören oder eine andere Herkunft haben als wir Deutschen.
domradio.de: Die AfD hat sich massiv gegen die Kirchen gestellt…
Jüsten: Die AFD hat sich massiv als Reaktion auf unsere Kritik gegen die Kirchen gestellt. Das ist insgesamt keine kirchenfreundliche Partei, auch wenn es einen kleinen Arbeitskreis "Christen in der AfD" gibt. Das ist dort eine kleine Randgruppe. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und dementsprechend wird die Auseinandersetzung anstrengender werden, wenn die Partei im Bundestag sein wird.
domradio.de: Immer wieder wird das Verhältnis Staat und Kirche diskutiert. Wenn sie die Parteien sehen, die jetzt zur Wahl antreten, wird sich daran in den kommenden Jahren etwas ändern?
Jüsten: Die Union wird am bestehenden Staatskirchenrecht festhalten und die SPD auch. Egal wie es ausgeht, wird eine Partei die größte Regierungsfraktion sein. An der Stelle können wir uns auch auf die großen Parteien verlassen. Die Grünen und die FDP haben sich mit der Zeit auch mit dem Staatskirchenrecht, so wie es ist, arrangiert. Da gibt es im Detail immer wieder auch Unterschiede.
Die Grünen fordern etwa die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts, was ein massiver Eingriff in unser Selbstbestimmungsrecht wäre, weshalb wir auch mit den Grünen an dieser Stelle Probleme haben. Die AfD hat die kirchenkritischste Position, da wird es am schwierigsten. Die Linkspartei ist uns auch fremd. Insgesamt hat aber auch die Linkspartei anerkannt, was die Kirchen in diesem Land leisten und schaffen.
Das Interview führte Matthias Friebe.
Redaktion: Christian Schlegel