Prälat Karl Jüsten zur Aktualität des Weihnachtsfestes

"Gott ist berührbar geworden"

Viele Sehnsüchte und Wünsche begleiten die Menschheit jedes Jahr zum Weihnachtsfest. Es sind die Hoffnungen nach Frieden, nach Geborgenheit, sozialer Sicherheit, nach Gerechtigkeit und nach Glück. Wie ein Mantra werden sie zu jedem Weihnachtsfest wiederholt - und verlieren dabei nie an Aktualität. Denn immer neue Kriege, neue Ungerechtigkeiten und Schicksalsschläge trennen die Menschen von der Erfüllung dieser Hoffnungen.

 (DR)

Das Weihnachtsfest allein kann diese Last nicht stemmen
Natürlich sind dies auch die Hoffnungen der Kirchen an jedem Weihnachtsfest. Aber gerade die Kirchen sollte eine andere Sorge
umtreiben: Wie kann ein gläubiger Christ heute die Weihnachtsbotschaft so verstehen und verbreiten, dass sie nicht nur zur Selbstvergewisserung der Christenheit vernommen wird? Das Weihnachtsfest allein kann diese Last nicht stemmen. Es kann nur jedes Jahr wieder Ansporn dazu sein, die Relevanz des Geburtsfestes Jesu für die heutige Zeit deutlicher hervortreten zu lassen.

Bisweilen scheint es so, als ob Christen heute zu viel mit sich selbst und mit ihrer Kirche beschäftigt sind. Warum lassen wir es zu, dass Glaube allzu häufig auf Schwächen und Schuld einzelner Gläubiger, auf innerkirchliche Auseinandersetzungen über den richtigen Kurs der Kirche oder auf das Fehlverhalten einiger Repräsentanten herabgesetzt wird? Warum wird missionarisches Bewusstsein oft als Abwerben oder Expansionsdrang zur Erweiterung des Machtbereichs der Kirchen kritisiert? Warum werden Kirchen im öffentlichen Raum immer wieder auf eine Art "Moralagentur"
reduziert? Warum werden Randthemen des christlichen Glaubens zu zentralen Themen - und die zentralen Fragen nur noch am Rande behandelt?

Das "große Ganze" nicht aus dem Blick verlieren
Gerade für Christen sollte es wichtig sein, das "große Ganze"
nicht aus dem Blick zu verlieren. In Deutschland wird schon seit Jahren eine allgemeine Orientierungslosigkeit beklagt. Doch ist es wirklich so, dass der christliche Glaube auf die heutigen Hoffnungen und Nöte keine Antworten mehr hat? Zu Weihnachten haben wir die Gelegenheit, erneut darüber nachzudenken.

Gerade in der heutigen Zeit ist von Christen das Bezeugen des Glaubens gefragt. Und zwar nicht als diffuses Einstehen für einen unbestimmten Gott sondern als Bekenntnis zum dreieinigen Gott - selbst wenn damit eine Last der Differenz einhergeht. In einer aufgeklärten, kritischen Gesellschaft sind die Zeiten eines unreflektierten Glaubens vorüber. Eine vernunftgemäße Selbstvergewisserung in Glaubensfragen steht deshalb dem heutigen Christentum gut an. Und wer genau hinschaut, entdeckt heute mannigfache Tendenzen, den eigenen Glauben näher erkunden zu wollen. Glaubensbücher haben Hochkonjunktur, wenn sie grundlegend Auskunft über die Inhalte des christlichen Glaubens geben, auch Glaubensseminare bei den Wiedereintrittsstellen der Kirchen werden bereitwillig angenommen - und die meisten Schüler nehmen gerne am Religionsunterricht teil, sofern dieser noch angeboten wird.

Papst Benedikt XVI.: Prominentester Zeuge
Je besser man über den eigenen Glauben Bescheid weiß, desto leichter lassen sich auch Glaubenszeugnisse ablegen. Prominentester Zeuge des christlichen Glaubens ist in den letzten Monaten wohl Papst Benedikt XVI. Die Wirkung, die er überall erzielt, liegt sowohl in seiner Person, in der Art seines Auftretens als auch in seinen Worten begründet. Überraschend ist auch die Faszination, die von ihm auf die säkulare Welt, auf die Wissenschaft, auf die Staatslenker und nicht zuletzt auf die Anhänger anderer Religionen ausstrahlt. Seine Botschaft ist so einfach wie sperrig. Er spricht überzeugt von der Wahrheit des christlichen Glaubens, der Wahrheit der Weihnacht: Gott ist Mensch geworden. Eine Botschaft, die 2000 Jahre alt ist, und die dennoch an Aktualität nichts verloren hat. Heute an die Menschwerdung Gottes zu glauben, ist die entscheidende Differenz gegenüber allen anderen Religionen und Wahrheitsauffassungen.
Diese Überzeugung zu verbreiten, ist in einer pluralistischen Gesellschaft schwieriger als früher.

Dennoch oder gerade deshalb birgt Weihnachten eine Chance. Denn die Menschwerdung Gottes lässt zumindest gläubige Christen jedes Jahr innehalten. Gott ist berührbar, ansprechbar und erfahrbar geworden. Er ist der Gott, der sich allen Menschen zuwendet. Mit diesem Glauben an den liebenden Gott verbinden wir Christen nicht nur eine Lehre, sondern ein Lebensprogramm, ein Lebensgestaltungsmuster voller Werte. Die Feiertage bieten jedem die Möglichkeit, sich jenseits von Arbeit und Alltagsstress auf diesen Kern des christlichen Glaubens zurückzubesinnen.

Dem Innehalten etwas folgen lassen!
Auch dieses Jahr kommt es jedoch wieder darauf an, dem Innehalten etwas folgen zu lassen. Starten wir ins neue Jahr mit dem Willen, etwas zu verändern! Und belassen wir es nicht nur bei dem Willen, sondern setzen wir es auch um, ganz im Sinne der frohen Botschaft des Weihnachtsfestes! Denn nur, wer selbst aktiv wird, kann für Frieden, Geborgenheit, soziale Gerechtigkeit und Glück sorgen. In der Familie, bei Freunden, in der Gemeinde. Denn eines muss uns bewusst sein: Nur, wenn wir Christen der Weihnacht durch unser eigenes Tun wieder mehr Leben einhauchen, wird es ein Fest bleiben, das sich jedes Jahr zu feiern lohnt, und an das wir - und andere Menschen - deshalb unsere Hoffnungen knüpfen können.

Hinweis: Der Autor, Prälat Karl Jüsten (45), leitet das Katholische Büro bei der Bundesregierung, die Vertretung der Deutschen Bischofskonferenz im politischen Berlin.