DOMRADIO.DE: 2016 hatte die Regierung einen Friedensvertrag mit der größten Rebellenbewegung des Landes, der FARC, geschlossen. Der rechtsgerichtete Kandidat, Iván Duque, will diesen Vertrag nun modifizieren. Er erhielt in der ersten Runde 39,1 Prozent, das heißt es wird eine Stichwahl geben. Aber er war der stärkste Kandidat. Wie kann es sein, dass nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs immer noch so viele Menschen gegen den Friedenvertrag sind?
Monika-Lauer Perez (Kolumbienreferentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat): Man kann nicht sagen, dass die Menschen ernsthaft gegen einen Friedensvertrag sind. Sie sind in Teilen gegen den ausgehandelten Vertrag und dessen Bedingungen. Und viele Kritiker sind vor allem jene, die den Bürgerkrieg nicht hautnah miterlebt haben, sondern ihn nur aus den Medien kennen, beispielsweise die Menschen in den großen Städten. Die Stadtbevölkerung ist nicht in dem Maße betroffen gewesen, wie die Bevölkerung auf dem Land.
DOMRADIO.DE: Die Kritik lautet, man habe der FARC zu viele Zugeständnisse gemacht, beispielsweise hinsichtlich der Straffreiheit oder der politischen Beteiligung für ehemalige Kämpfer. Nun ist die FARC nie besiegt worden, sie hat sich freiwillig auf diesen Friedensvertrag eingelassen. Da musste die Regierung doch Zugeständnisse machen, oder?
Perez: Ohne diese Zugeständnisse wäre es bestimmt nicht zu dem Vertrag gekommen. Und die Kompromisse sind auch mit nationalem und internationalem Recht vereinbar, wie es in so einer schwierigen und komplexen Situation zum Tragen kommt.
DOMRADIO.DE: Andererseits: Wenn Kämpfer, die zum Teil schwere Verbrechen begangenen haben, nun mit geringen Strafen davon kommen und zum Teil sogar in die Politik gehen können – das schürt schon das Gefühl von Ungerechtigkeit, vor allem bei den Opfern. Wie kann man diesen Spagat überwinden?
Perez: Interessanterweise sind es gar nicht die Opfer, die sich ungerecht behandelt fühlen, sondern vor allem jene, die gar nicht selbst in diese kriegerischen und gewaltsamen Vorkommnisse der letzten Jahrzehnte involviert waren. Es wurde immer wieder kritisiert, dass es Amnestien für Straftäter und Kämpfer gebe, was aber so nicht stimmt. Es gibt eine bestimmte Art von Strafe, die in der Übergangsjustiz weltweit Akzeptanz findet.
DOMRADIO.DE: Wenn Iván Duque Präsident werden sollte und den Friedensvertrag wieder aufschnürt – wie groß ist die Gefahr, dass der Konflikt dann wieder aufbricht?
Perez: Ich denke, die Gefahr ist schon relativ hoch, denn die Umsetzung des Friedensvertrages von Seiten der Regierung ist bislang nicht so, wie sie eigentlich sein sollte. Die Regierung hat viele der Bedingungen noch nicht umgesetzt, während die FARC das zu so gut wie 90 Prozent getan hat. Und wenn die Regierung jetzt so schleppend vorankommt, schürt das bei der FARC natürlich auch wieder Zweifel.
DOMRADIO.DE: Wie, glauben Sie, wird die Stichwahl ausgehen?
Perez: Dazu müsste ich eine Kristallkugel haben, aber ich denke, es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben zwischen dem Kandidaten der Rechten, Iván Duque, und der Linken. Und allein das ist ja für Kolumbien schon eine Sensation: Der Kandidat der Linken, Gustavo Petro, landete in der ersten Runde mit 25 Prozent auf Platz zwei. Petro ist Ex-Guerillero, der sich zu der Linken bekennt und auch eine grüne Agenda hat. Dass er so viele Stimmen bekommen hat, ist bemerkenswert und liegt in großem Maße an den ethnischen Minderheiten in Kolumbien, die ihn gewählt haben.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche war an den Friedensverhandlungen beteiligt, sie hat vermittelt und immer wieder dafür gesorgt, dass die Verhandlungspartner wieder zurück an den Tisch kehren. Hat sie sich zu den aktuellen Wahlen geäußert? Sie müsste doch für die Einhaltung des Friedensvertrages sein.
Perez: Die Umsetzung des Friedensvertrages ist natürlich auch ein Thema, das wir vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat gemeinsam mit der katholischen Kirche im Land versuchen voranzutreiben. Wir fördern viele Projekte der Zivilgesellschaft, in Pfarreien oder Basisgemeinden, die sich mit dem Thema Frieden ernsthaft auseinandersetzen.
Bei den Wahlen hat die Kirche keine direkte Empfehlung gegeben, sondern immer nur die Menschen dazu aufgefordert, wählen zu gehen, weil die Enthaltung traditionell in Kolumbien immer sehr hoch ist. Die Kirche hat die Menschen aufgerufen, gewissenhaft zu wählen, sich mit den Programmen auseinandersetzen und zu schauen, für welche Politik die Kandidaten stehen. Insgesamt war die Kirche also nicht parteiisch, aber sie hat gute Ansagen gemacht, um die Menschen auf den richtigen Weg zu bringen.
Das Interview führte Dagmar Peters.