Präsidentschaftswahlen in Venezuela

Chavez oder Capriles

Tote bei Wahlkampfveranstaltungen, blockierte Landebahnen und massive Drohungen: Schon vor der Wahl des Staatspräsidenten in Venezuela waren die Nerven der Menschen zum Zerreißen gespannt. Die katholische Kirche versucht, die aufgeheizten Gemüter zu beruhigen.

Autor/in:
Tobias Käufer
 (DR)

Erst am Wochenende kamen bei einer Wahlkampfveranstaltung des Herausforderers Henrique Capriles, zu der in der Chavez-Hochburg Barinas mehr als 50.000 Menschen strömten, zwei Anhänger des gemeinsamen Kandidaten der Opposition ums Leben. Die Emotionen kochen hoch; Vorwürfe eines gezielten Anschlags machten die Runde. Sie passen ins aktuelle Klima - hat Amtsinhaber Hugo Chavez doch schon offen von einem Bürgerkrieg gesprochen, sollten die regierenden Sozialisten die Wahl verlieren.



Die katholische Kirche versucht, die aufgeheizten Gemüter zu beruhigen. Die Venezolaner sollten sich von ungehörigen Drohungen nicht einschüchtern lassen, erklärt Kardinal Jorge Urosa Savino.

"Nur Gott wird wissen, wem wir unsere Stimme geben." Die Wahl sei frei - "und ein Recht, das wir mit Mut und im Einklang mit unserer Überzeugung ausüben müssen", so der Erzbischof von Caracas. Auch der Bischofskonferenz-Vorsitzende, Erzbischof Diego Padron von Cumana, erinnerte die Kandidaten an ihre eigentliche Aufgabe: Die Politik müsse "die Ideologien hinter sich lassen und sich auf das Wohl des Landes konzentrieren".



Unterschiedliche Kandidaten

Die beiden Kandidaten könnten unterschiedlicher nicht sein: Chavez (58), von einer Krebserkrankung nach eigenen Angaben vollständig genesen, gibt sich angriffslustig, aggressiv und bisweilen drohend. So liebt ihn seine sozialistische Basis. Capriles (40) versucht sich in der Rolle dessen, der das tief gespaltene Land zu versöhnen versucht. Mit moderaten Reformankündigungen will er jenen Venezolanern die Angst nehmen, die einen radikalen Umbruch befürchten.



Das Kalkül des jungen, allerdings auch unerfahrenen Gouverneurs von Miranda ist klar: Ihm sollen wechselwillige Chavez-Anhänger, die enttäuscht sind von Korruption, Gewalt und wirtschaftlichem Stillstand, ihre Stimme geben. Capriles hat einen wahren Wahlkampfmarathon hingelegt. Weil die staatlichen Medien ganz auf Chavez-Kurs eingestimmt sind, wählte der Oppositionskandidat die Ochsentour: Mehr als 250 Dörfer und Städte besuchte Capriles - und wird für seinen unermüdlichen Einsatz mit ständig steigenden Umfragewerten belohnt.



Bedeutung über die Grenzen hinaus

Selbst dass übereifrige Chavez-Anhänger sogar einmal die Landebahn blockierten, um seine Ankunft zu verhindern, brachte ihn nicht aus der Ruhe. Ob es trotzdem zu einem Sieg am Sonntag reicht, steht auf einem anderen Blatt. Denn Chavez verfügt vor allem in den Armenvierteln über eine starke Machtbasis. Sozialprogramme verschaffen ihm Rückhalt. Genau dies kritisierte zuletzt Erzbischof Balthasar Porras: "Wir brauchen Investitionen in eine qualitativ hochwertige Bildung und nicht in Programme, die die Menschen vom Staat abhängig machen, aber sie nicht wirklich voranbringen. In einem Land, das so reich an Erdöl und Erdgas ist, muss eine andere Politik möglich sein", sagte der Oberhirte von Merida.



Der Ausgang der Wahl hat weit über die Grenzen Venezuelas Bedeutung. Engster Verbündeter ist Kuba, das auf die verbilligten Öl-Lieferungen aus Caracas angewiesen ist. Auch der von Venezuela dominierte südamerikanische Staatenbund ALBA dürfte eine andere politische Ausrichtung erhalten, sollte Capriles gewinnen. Jüngste, unabhängige Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Und sollte das Ergebnis so eng ausfallen wie erwartet, dürften sich beide Lager schwer tun, eine Niederlage zu akzeptieren. Die eigentliche Zerreißprobe steht Venezuela dann noch bevor.