Mit einer Einigung im unionsinternen Streit über eine Flüchtlingsobergrenze haben CDU und CSU eine entscheidende Weiche auf dem Weg zu einem Jamaika-Bündnis gestellt. Ob die Kompromisslösung der Union die Regierungsbildung mit FDP und Grünen aber einfacher machen könnte, blieb offen.
Anpassungen nach oben möglich
Die Unionsparteien hatten sich am Sonntagabend auf das Ziel verständigt, maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Der Kompromiss beinhaltet aber eine Ausnahme für Sondersituationen. Sollte die Begrenzung durch internationale oder nationale Entwicklungen nicht eingehalten werden, sollen Regierung und Bundestag "Anpassungen nach oben oder unten" beschließen.
Die Zuwanderung von Arbeitskräften oder EU-Ausländern ist von der Grenze nicht betroffen. "Sie sehen mich zufrieden, weil wir einen großen Schritt weitergekommen sind", sagte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) am späten Sonntagabend.
CDU und CSU einigten sich auf konkrete Maßnahmen, um diese Grenze zu sichern. Genannt werden die Themen Fluchtursachenbekämpfung, Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens, der Schutz der EU-Außengrenzen, die EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen sowie gemeinsame Rückführungen von dort sowie die Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) und des Dublin-Systems.
Die Unionsspitzen hatten am Sonntagabend weitere Beratungen über eine gemeinsame Linie für die Jamaika-Verhandlungen vertagt. Mit der Zahl 200.000 hat Seehofer zumindest einen gesichtswahrenden Kompromiss erreicht. Er hatte in den vergangenen Jahren gegen Merkels strikten Widerstand auf einer Flüchtlings-Obergrenze in dieser Größenordnung bestanden. Auch die Grünen sind gegen eine Obergrenze.
Kritik von Pro Asyl und den Grünen
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte die Einigung innerhalb der Union. Dies sei "ein menschenunwürdiges Geschachere, bei dem gesichtswahrend auf Kosten der Schutzbedürftigen eine menschenrechtswidrige Lösung der Öffentlichkeit präsentiert wird", sagte Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte die nun erzielte Einigung: Diese atme "den Geist eines Formelkompromisses, über den beide wissen, dass er nicht länger halten muss, als bis zum ersten Gespräch mit FDP und Grünen", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Die "eintägige Krisensitzung" am Sonntag habe gezeigt, dass die Einheit der Schwesterparteien vor der Bundestagswahl nur eine Inszenierung gewesen sei. Immerhin hätten sie damit einen ersten Schritt getan, um verhandlungsfähig zu werden.
Die Union war bei der Wahl am 24. September zwar stärkste Kraft geworden, hatte aber mit 32,9 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 eingefahren. Merkel will mit FDP und Grünen verhandeln, weil die SPD in die Opposition gehen will.
CSU verteidigt "Regelwerk"
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte am Montagmorgen im ZDF-Morgenmagazin: "Wir haben ein Regelwerk vereinbart, das mit ganz konkreten Maßnahmen die Grenze setzt bei bis zu 200.000." Scheuer fügte hinzu: "Diese Zahl ist ein guter Kompromiss, eine gute Einigung und ganz nach unseren Vorgaben."
Der Bayerische Rundfunk (BR) hatte zuvor aus dem gemeinsamen Unions-Papier zitiert und darauf hingewiesen, das darin das Wort "Obergrenze" nicht vorkomme. Wörtlich heißt es in dem Papier laut BR: "Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt."
Auf die Frage, ob die Zahl von 200.000 angesichts möglicher humanitärer Notlagen eine letztlich flexible Ziffer sei, stellte Scheuer im ZDF-Interview klar: "Es ist eine fixe Zahl von bis zu 200.000." Er fügte aber hinzu: "Sollte vor den Toren Europas ein Krieg ausbrechen und wir hätten so wie bei den Ex-Jugoslawien-Flüchtlingten eine Aufgabe, die wir europäisch schultern müssen, dann wird nicht am Kabinettstisch allein entschieden oder im Kanzleramt, sondern mit Beteiligung des Bundestages."
Bekämpfung von Fluchtursachen
Zu den weiteren Maßnahmen zählt das Papier nach Angaben des BR unter anderem die Bekämpfung von Fluchtursachen, die "Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens", den Schutz der EU-Außengrenzen sowie "die EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen sowie gemeinsame Rückführungen von dort". Darüber hinaus wolle man das sogenannte Dublin-System und das Gemeinsame europäische Asylsystem (GEAS) reformieren.
Neben diesen Regelungen sei geplant, zumindest die Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, die Grenzkontrollen zumindest vorerst beizubehalten und die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz fortzusetzen. Zusätzlich wolle die Union ein Zuwanderungsgesetz für Fachkräfte auf den Weg bringen.