domradio.de: Das Argument für Sammelabschiebungen ist, dass es in Afghanistan sichere Gebiete gibt. Können Sie das nachvollziehen?
Günter Burkhardt (Geschäftsführer Pro Asyl): Das ist völliger Unfug. Wenn jemand aus Westeuropa zurück kommt, dann erkennt man das an der Kleidung und an der Sprache. Sie werden in Afghanistan beäugt und verdächtigt. Und dann sind diese Menschen im Visier der Taliban. Und es ist nicht so, dass es nur diese Bombenattacken gibt, die wir im Westen wahrnehmen, wenn Dutzende zu Tode kommen. Es gibt unterhalb dieser Schwelle massive Drohungen: 'Ich entführe deine Frau, ich entführe dein Kind. Ich schneide dir einen Finger ab.' Es gibt massiven Druck, um Afghanen gefügig zu machen, um nicht gegen die Taliban und Warlords zu opponieren. Diese Menschenrechtsverletzungen gibt es von allen Seiten, auch im Regierungsbereich. Ein UN-Bericht belegt, dass auch in den Regierungsgebieten Willkür herrscht und auch Folterungen in Gefängnissen vorkommen.
domradio.de: Sie haben gestern eine Erklärung abgegeben. Was genau fordern Sie?
Burkhardt: Die gemeinsame Erklärung ist von Pro Asyl, Richtern, Anwaltsvereinen, der Diakonie und allen anderen Wohlfahrtsverbände, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. Die Caritas ist aber leider nicht dabei. In der Erklärung ist die Aussage: Man darf im Moment nicht nach Afghanistan abschieben. Und das zweite ist: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entscheidet oft willkürlich über Ja oder Nein, weil man unter einem wahnsinnigen Entscheidungsdruck steht. Beispielsweise verpfeift ein Afghane zwei Taliban-Spione dem örtlichen Polizeikommandanten, dann wird er bedroht, er stellt sich unter den Schutz des Polizeikommandanten, der wird ermordet und das Bundesamt lehnt den Asylantrag des geflohenen Afghanen ab mit der Begründung: 'Sie hätten doch zu einer anderen Polizeidienststelle gehen können.' Das ist absurd.
domradio.de: Das heißt, es müsste auch Einzelfallentscheidungen geben?
Burkhardt: Wir haben keine wirklichen Einzelfallentscheidungen mehr im Bundesamt. Es wird nach Zufallsprinzip im Hauruckverfahren entschieden. Wir müssen davon ausgehen, dass die Behörde in hohem Maße fehlerhaft entscheidet, und dass die Gerichte nicht mehr in der Lage sind all das aufzuklären, was bei dieser Behörde - ich sag es mal salopp - versemmelt wird.
Das Interview führte Verena Tröster.