Texanisches Abtreibungsgesetz könnte schlafenden Riesen wecken

Pro-Choice-Lager holt zum Gegenschlag aus

Texas könnte der Pro-Life-Bewegung mit seinem strikten Abtreibungsgesetz einen Bärendienst erwiesen haben. Es mobilisiert jene, die sich für ein Selbstbestimmungsrecht von Frauen aussprechen.

Autor/in:
Bernd Tenhage
Plakat mit der Aufschrift "Make unborn babies great again" beim Marsch für das Leben in Washington / © Tyler Orsburn/CNS photo (KNA)
Plakat mit der Aufschrift "Make unborn babies great again" beim Marsch für das Leben in Washington / © Tyler Orsburn/CNS photo ( KNA )

Bisher kochte die Auseinandersetzung um den Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen in den USA auf mittlerer Flamme.

Republikanische Bundesstaaten beschlossen sogenannte "Herzschlaggesetze", die darauf abzielten, Abtreibungen zu verbieten, sobald ein Herzschlag des Fötus nachweisbar ist. Die Bundesgerichte stoppten die Gesetze, weil sie gegen das Grundsatzurteil "Roe gegen Wade" von 1973 verstoßen. Dieses besagt, dass staatliche Gesetze, die Abtreibungen verbieten, gegen die Verfassung verstoßen.

Abbrüche ohne Ausnahme unter Strafe

Der Bundesstaat Texas geht nun noch weiter, indem er Abbrüche ab der sechsten Schwangerschaftswoche unter Strafe stellt - ohne Ausnahmen für Vergewaltigung oder Inzest und zu einem Zeitpunkt, an dem viele Frauen noch nicht um ihre Schwangerschaft wissen. Statt die Staatsanwaltschaft mit der Strafverfolgung zu beauftragen, lagert Texas diese Aufgabe an beliebige Privatpersonen oder -organisationen aus.

Sie sind aufgefordert, Ärzte, Gesundheitspersonal oder Klinikbetreiber anzuzeigen; auch wer eine Frau in eine Abtreibungsklinik bringt, kann wegen Beihilfe belangt werden. Bei einer Verurteilung drohen 10.000 Dollar Strafe pro Fall, der Hinweisgeber erhält 10.000 Dollar Belohnung. Das Oberste Gericht schritt aus formalen Gründen nicht ein und ließ das Gesetz in Kraft treten.

Der Kolumnist Michael Sean Winters des "National Catholic Reporter" erwartet, dass "dieses wirklich seltsame Gesetz der historische Beginn einer Gegenbewegung sein wird, auf die die Pro-Life-Bewegung schlecht vorbereitet ist".

Darauf deutet auch die Erklärung des in der katholischen Bischofskonferenz für das Thema Abtreibung zuständigen Erzbischofs Joseph F. Naumann hin. Der lobt zwar das Gesetz, formuliert aber die Sorge, dass die US-Regierung "ihre volle Kraft mobilisiert, alle Bemühungen zum Schutz des Lebens der Kinder im Schoß zu stoppen".

Dies könne am Ende in ein Gesetz münden, "dass die gescheiterte Politik von 'Roe gegen Wade' verewigt".

Das texanische Gesetz hilft dem Pro-Choice-Lager

Der Mobilisierungseffekt ist unübersehbar. Das texanische Gesetz hilft dem Pro-Choice-Lager, in düstersten Farben auszumalen, was droht, wenn der Supreme Court das Grundsatzurteil kassiert. "Sie haben Wind gesät und werden Sturm ernten", sagt Kolumnist Winters voraus.

US-Präsident Joe Biden nannte das Gesetz "einen beispiellosen Angriff auf die verfassungsmäßigen Rechte der Frau". Der Katholik kündigte an, alles zu tun, um dieses Gesetz rückgängig zu machen. Kurz darauf reichte Justizminister Merrick Garland Klage gegen Texas ein, mit dem Argument, es sei verfassungswidrig, Hoheitsaufgaben des Staates im Strafrecht an Privatpersonen zu delegieren.

Die Bürgerrechtsbewegung ACLU sprach von einer "willkommenen Nachricht". Die Klage sei ein "Wendepunkt", hofft auch die Präsidentin des "Center for Reproductive Rights", Nancy Northup, die zusammen mit "Planned Parenthood" und einem breiten Spektrum an Frauen-, Bürgerrechts- und progressiven Kirchengruppen die Pro-Choice-Bewegung mobilisiert.

Skepsis bis in die Volkskirchen

Die Skepsis gegen das texanische Gesetz reicht tief in die christlichen Volkskirchen hinein. Die Vorsitzende der Organisation "Faith in Public Life", Jennifer Butler, nennt es "unchristlich", wenn Texas per Gesetz Denunziantentum gegen Menschen in einer schwierigen Lebenssituation fördere. Die Pfarrerin der Presbyterianer-Kirche meint, dies sei "theologisch unhaltbar."

Erika Forbes von der ökumenischen Organisation "Just Texas" weist auf einen Aspekt hin, den auch die Bürgerrechtsorganisation ACLU aufgreifen will. "Weil ich bereit bin, jemandem in höchster Not, Trauer und Angst die Hand zu halten, könnte ich dafür angeklagt werden", fürchtet die Pfarrerin. Das Gesetz schränke auf diese Weise auch die Ausübung der Religionsfreiheit ein.

Die juristische Auseinandersetzung mit dem Thema Abtreibung wird im Herbst an höchster Stelle fortgesetzt. Dann wird sich der Supreme Court damit befassen, ob das "Herzschlaggesetz" des Bundesstaates Mississippi verfassungsgemäß ist. Manche Experten rechnen mit einem Grundsatzurteil. Im Supreme Court sind die konservativen Richter in der Mehrheit - einige kündigten bereits an, das Urteil "Roe gegen Wade" kippen zu wollen.


Quelle:
KNA