Probleme der Langzeitarbeistlosigkeit in Deutschland

"Nicht gewollt und nicht brauchbar"

Die Beschäftigung in Deutschland ist auf einem Höchststand. Doch die Langzeitarbeitslosigkeit stagniert seit 2011. Bei domradio.de sprechen zwei Sozialdienst-Expertinnen über Beschäftigungsprojekte und politischen Änderungsbedarf.

Kampagne "Stell mich an, nicht AUS" / © Melanie Trimborn (DR)
Kampagne "Stell mich an, nicht AUS" / © Melanie Trimborn ( DR )

domradio.de: Die Arbeitslosenzahlen sind auf ein Rekordtief gesunken. Wir hatten im Mai eine Arbeitslosenquote von 5,6 Prozent. Sie machen aber gemeinsam mit der Caritas und dem Sozialdienst katholischer Frauen auf Probleme für Langzeitarbeitslose aufmerksam. Wo liegen die genau?

Sibylle Klings (Geschäftsführerin IN VIA, katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit Köln e.V.): In Köln sind von insgesamt 49.000 Arbeitslosen zwei Drittel langzeitarbeitslos. Diese Menschen haben keine Aussicht. Seit 2011 stagniert diese Zahl. Mindestens nach einem Jahr Arbeitslosigkeit kommt man in die Langzeitarbeitslosigkeit und damit ist auch ein anderes Gesetz - und zwar das SGB II - gültig. Da sind die Fördermaßnahmen andere als die im SGB III für die arbeitslosen Menschen.

Die langzeitarbeitslosen Menschen haben tatsächlich nie den Arbeitsmarkt erfahren können - und das als junger Mensch schon nicht. Sie sind Menschen, die psychische Erkrankungen entwickeln und die gesundheitlich beeinträchtigt sind. Sie wissen nicht mehr wie der Arbeitsmarkt aussieht und glauben nicht mehr an sich oder glauben nicht, dass sie eventuell nochmal eine Chance bekommen. Sie haben immer wieder erfahren, dass sie nicht gewollt und nicht brauchbar sind. Das trägt tatsächlich dazu bei, dass sie aufgegeben haben.

domradio.de: Deshalb ist es ganz wichtig, dass es Projekte und Hilfe für sie gibt. Ein Beispiel für die caritative Arbeit ist das Projekt "casa blanca" hier in Köln. Das Jobcenter will diese Arbeitslosen in "Beschäftigungsmaßnahmen" vermitteln und die kommen dann oft zu Ihnen, Frau Rüther. Wie versuchen sie den Leuten zu helfen? 

Nina Rüther (Projektleiterin casa blanca, Beschäftigungsprojekt des Sozialdienst katholischer Frauen): Wir sind ein Angebot vom Sozialdienst katholischer Frauen in Köln und wir helfen langzeitarbeitslosen Frauen mit zwei Arbeitsbereichen, der Näherei und der Wäscherei, damit die Frauen nochmal schauen können: "Wie sieht die Beschäftigungsfähigkeit eigentlich bei mir aus?". Es geht um eine Kompetenz, die man entweder hat oder ausbauen möchte. Wir schauen, was fehlt, um einen Job zu bekommen. Das heißt, die Menschen kommen zu uns nach Köln-Mülheim, weil sie vom Jobcenter geschickt werden, und sagen: "Ja, ich möchte gerne etwas bei Euch machen. Was können wir denn machen?"

Wir helfen den Frauen zu schauen, was eigentlich die Interessen sind und was die aktuellen Hindernisse, um überhaupt einen Job zu bekommen. Das kann beispielsweise eine fehlende Kinderbetreuung sein. Es kommen Menschen zu uns, die sind alleinerziehend und Mutter von ein bis drei Kindern und denen fehlt die Betreuung. Oder die Langzeitarbeitslosigkeit hat die Frauen in so ein tiefes Loch gerissen, dass es ihnen oft psychisch gar nicht gut geht. Depressionen sind oft mit dabei und das führt dazu, dass die Frauen nicht stabil genug sind, dem Arbeitsmarkt zu entsprechen. Da knüpfen wir an und helfen.

domradio.de: Und da haben Sie auch Erfolge. Können Sie an einem konkreten Beispiel erzählen?

Rüther: Da gab es eine Frau, die wurde schon des Öfteren zugewiesen. So nennt man das. Das Jobcenter weist in der Regel für sechs Monate zu. Das war eine impulsive Person, die es nicht gewöhnt war, im Team zu arbeiten und eher immer für sich war. Letztlich hat sie dann durch die Arbeit gelernt, in einem Team zu arbeiten. Sie hatte mit sich selber zu kämpfen, wenn es um Kritik ging. Da musste Kritikfähigkeit eingeübt werden. Sie hat zwischendurch manchmal einen Mülleimer bei einem Konflikt durch die Gegend geschmissen. Da mussten wir schauen, dass wir sie da abholen, wo sie steht und dass wir mit ihr in ganz kleinen Schritten besprechen, wie es funktionieren kann. Sie hat viel an sich gearbeitet und nach mehreren Jahren hat sie eine Anstellung gefunden in einer Kölner Bäckerei. Da freuen wir uns sehr und sind jedes Mal glücklich, wenn wir sie sehen.

domradio.de: Am 24. September wird der neue Bundestag gewählt. Langzeitarbeitslosigkeit war jetzt nicht grade das Topthema im Wahlkampf. Frau Klings, welche Forderungen geben Sie der Politik mit auf den Weg?

Klings: In erster Linie muss sich die Haltung gegenüber langzeitarbeitslosen Menschen ändern. Diese Menschen haben ein Recht auf soziale Teilhabe, und die Aktivierung in den Arbeitsmarkt muss unter diesem Punkt gesehen werden. Wir haben grade gehört, was es bedeutet, den Alltag strukturiert gestalten zu können und dazuzugehören. Wir sprechen von zwei Gruppen. Einmal die von Langzeitarbeitslosigkeit bedrohten Menschen, die wir auch mehr in den Blick nehmen müssen. Das sind junge Menschen. Da sind Ausbildungsabschlüsse beziehungsweise Schulabschlüsse in den letzten Jahren nicht unbedingt steigend gewesen. Wir haben Geflüchtete, junge Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund. Wenn wir die nicht rechtzeitig und langfristig fördern, dann sind sie gefährdet, langzeitarbeitslos zu werden.

Die andere Gruppe sind die wirklich langzeitarbeitslosen Menschen, die vielleicht von einer Maßnahme in die andere geschickt worden sind und immer wieder abbrechen mussten. Oder die Maßnahme war befristet, sie war nicht aufbauend auf eine andere. Das hat zur Resignation geführt. Hier brauchen wir langfristige und verlässliche Konzepte. Und wir brauchen vor allem Menschen, die diese Menschen sozial begleiten bis hin in den Arbeitsmarkt und in die Betriebe. Denn auch die Betriebe brauchen Unterstützung.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.


Nina Rüther, Projektleiterin von casa blanca / © Melanie Trimborn (DR)
Nina Rüther, Projektleiterin von casa blanca / © Melanie Trimborn ( DR )

Sibylle Klings, Geschäftsführerin von IN VIA / © Melanie Trimborn (DR)
Sibylle Klings, Geschäftsführerin von IN VIA / © Melanie Trimborn ( DR )
Quelle:
DR