"Ich verstehe Laien. Laien sind ungeduldig, die sagen, nun habt ihr ein Jahr gefeiert, warum ist da denn nix herausgekommen?" Professor Markschies wirft einen ausgewogenen Blick auf das ablaufende Reformationsgedenkjahr. Er warnt vor Polarisierungen, die das Gedenkjahr entweder als Flop abtun oder als Erfolg feiern. Man müsse in den Erwartungen nüchtern bleiben, sagt er im domradio.de Interview. "Viele Kirchengemeinden haben sich mit Reformation beschäftigt. Evangelische und katholische Gemeinden. Die Leute wissen mehr. Viele Leute haben irgendwie mitgekriegt, da geht es so um Luther und es geht um Freiheit und Freiheit meint nicht, ich kann alles tun und lassen, was ich will. Und wenn die das schon erkannt haben und wenn die gemerkt haben, da kann man lernen getrösteter zu leben, fröhlicher zu leben und auch getrösteter zu sterben in der christlichen Kirche, dann ist schon wahnsinnig viel passiert." Und wie war das mit dem zusätzlichen Feiertag in diesem Jahr, mit dem Reformationstag am 31. Oktober? Die meisten Menschen haben den freien Tag doch nur genutzt, um auszuschlafen oder einen Ausflug zu machen, oder? "Allein schon wenn Leute gemerkt haben, da ist jetzt ein Feiertag und da wird offenbar etwas gefeiert, was in seinen Wirkungen bis heute das Leben von Menschen bestimmt. Dann ist schon ziemlich viel erreicht," ist Professor Markschies zuversichtlich.
Gibt es ökumenische Fortschritte?
Gibt es aber auch Fortschritte im ökumenischen Miteinander? Hat das Reformationsgedenkjahr da etwas gebracht? Dem gemeinsamen Abendmahl sind katholische und evangelische Christen keinen Deut näher gekommen. "Es wäre aber auch ganz merkwürdig anzunehmen, dass in einem Jahr, in dem es Kunstausstellungen und viele Feiern gibt, theologische Durchbrüche erreicht werden", antwortet der evangelische Theologieprofessor. "Theologische Durchbrüche werden durch geduldige Arbeit erreicht. Geduldige Arbeit findet hinter verschlossenen Türen statt und ist nichts für ein Jubiläumsjahr. Die Erwartung wäre auch falsch, dass sich jetzt irgendwie auf dem Hauptbahnhof von Hannover drei Theologen treffen, kurz in die Bahnhofsgaststätte gehen und feststellen, och, ist ja Lutherjahr, wir könnten doch mal eben das Problem vom Abendmahl wegräumen."
Folgt Eurem Gewissen
Aber hat die christliche Basis in den Gemeinden dieses Problem nicht schon längst weggeräumt? In den meisten katholischen Gemeinden wird auch evangelischen Christen die Kommunion nicht verweigert. Da findet praktizierte Ökumene längst statt. Die Basis ist also schon viel weiter? "Ich finde nicht verwunderlich, dass die Basis schon weiter und gelegentlich von den theologischen Diskursen etwas gelangweilt ist", gibt der Theologieprofessor zu, "umgekehrt sind Theologen etwas verschnupft, weil die Basis so wenig auf sie wartet und auf die Theologen hört. Das, finde ich, gehört zum Geschäft, das ist normalerweise so." Und da sieht Professor Markschies, der übrigens als erster Protestant im Februar 2017 die Ehrendoktorwürde der Päpstlichen Lateranuniversität erhielt, auch Papst Franziskus ganz weit vorn, den Heiligen Vater als forschen Brückenbauer zwischen dem höchsten Amt der katholischen Kirche und der Basis? "Wir haben hier einen Papst, der in der evangelischen Christuskirche in Rom gesagt hat, als ihn ein konfessionsverbindendes Ehepaar fragte, ob beide zur katholischen Kommunion gehen dürften, ´folgt eurem Gewissen´", freut sich Markschies, "das ist ja eine wunderbare ökumenische Einigkeit, der man fröhlich zustimmen kann."
"Aufbruch oder Katerstimmung? Zur Lage nach dem Reformationsjubiläum", heißt das Buch von Christoph Markschies. Der Professor für Kirchengeschichte zieht eine ausgewogene Bilanz und wirft einen Blick in die Zukunft: "Ich möchte, dass auch Aufbruch zustande kommt. Insofern ist das Buch nicht nur eine nüchterne Analyse, sondern auch ein Stückchen weit Werbeschrift dafür, nehmt Impulse wahr und brecht mit denen auf."