"Warum bist du im Gefängnis, Papa? Stimmt es, dass es daran liegt, dass du eine Website gegründet hast, die zur sozialen und politischen Diskussion aufruft?" In einem Brief an seinen Vater stellt der kleine Doudi die Frage, die viele umtreibt. Der Blogger Raif Badawi ist seit dreieinhalb Jahren in seiner Heimat Saudi-Arabien inhaftiert, verurteilt zu zehn Jahren Gefängnis und 1.000 Peitschenhieben, wegen Beleidigung des Islam.
Die ersten 50 Schläge gegen Badawi wurden in Dschidda vollstreckt - vor einem Jahr am 9. Januar: öffentlich, auf einem Platz vor der Al-Jafali-Moschee, nach dem Freitagsgebet. Die nachfolgenden Hiebe wurden verschoben, zunächst wegen medizinischer Bedenken, dann ohne Begründung.
"Kontakt komplett abgebrochen"
Menschenrechtler und Politiker weltweit forderten immer wieder einen sofortigen Stopp der Strafe und die Freilassung des Bloggers. Ohne Erfolg: Vielmehr wurde er laut seiner Ehefrau Ensaf Haidar im Dezember in ein anderes Gefängnis verlegt und trat in den Hungerstreik. Zwischen den Jahren hat Badawi demnach offenbar wiederholt das Bewusstsein verloren. "Der Kontakt zwischen mir und ihm ist komplett abgebrochen", sagte Haidar in einem Interview mit der Deutschen Welle. "Nun haben wir seit drei Wochen überhaupt keinen Kontakt mehr, und ich vermute, dass es ihm gesundheitlich schlecht geht." Eine Unterstützung seien die zahlreichen internationalen Ehrungen. "Sicherlich ist das für Raif von großer Bedeutung, auch psychisch", sagte sie. "Es ist für ihn ein moralischer Ansporn, wenn er weiß, dass es so viel Unterstützung für ihn gibt, dass er nicht allein ist."
Haidar rief dazu auf, den öffentlichen Druck gegen Saudi-Arabien aufrechtzuerhalten. "Ich bitte die Regierungen, mehr für Raifs Freiheit zu tun", sagte sie im Deutsche-Welle-Interview und dankte allen, die sich unter anderem an den wöchentlichen Mahnwachen zur Freilassung ihres Mannes beteiligten. "Hören Sie nicht auf damit, denn Ihr Beistand gibt uns die Hoffnung und den Mut weiterzumachen."
Demonstrationen und Protestunterschriften
Amnesty International betonte erneut, dass sie Badawi als gewaltlosen politischen Gefangenen betrachte, und fordert seine Freilassung. Ein Jahr nach der ersten Prügelstrafe gegen den Blogger überreichte die Menschenrechtsorganisation der saudischen Botschaft in Berlin mehr als 210.000 Protestunterschriften. Etwa 150 Menschen demonstrierten zudem am Freitag vor der Vertretung Saudi-Arabiens für Meinungsfreiheit und gegen die Todesstrafe, wie Amnesty mitteilte.
Das EU-Parlament verurteilte die Auspeitschung des Bloggers bereits zu Beginn des vergangenen Jahres "mit aller Schärfe als eine grausame und schockierende Handlung". Kurz vor Weihnachten verlieh es Badawi den Sacharow-Preis für geistige Freiheit - auch, um den Wert der Meinungsfreiheit als "fundamentales Menschenrecht" zu unterstreichen, wie Parlamentspräsident Martin Schulz erklärte.
"Völlige Missachtung der Menschenrechte"
Parallel zum Jahrestag der ersten Prügelstrafe sorgt Saudi-Arabien erneut für Schlagzeilen. Am Wochenende richtete der Nahost-Staat 47 Menschen wegen Terrorvorwürfen hin, darunter den schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr. Im Oktober 2014 hatte ein saudisches Gericht den Religionsgelehrten verurteilt, der zu den Wortführern während des Arabischen Frühlings gehörte und für seine Kritik am saudischen Königshaus bekannt war. Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte «ernsthafte Zweifel an der Art der Strafen und der Fairness der Verfahren», Amnesty sprach von einer "völligen Missachtung der Menschenrechte".
Nach Einschätzung der Menschenrechtler hat sich die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien seit dem Amtsantritt von König Salman im Januar 2015 kontinuierlich verschlechtert. Die Regierung habe im vergangenen Jahr mindestens 151 Menschen hinrichten lassen, was einen neuen Rekord in den vergangenen 20 Jahren darstelle.