"In Wirklichkeit ist das Problem der Kirche nicht die Kirchensteuer, nicht die Sexualmoral, nicht der Zölibat, nicht das Frauenpriestertum. Das Problem der Kirche, beider Kirchen ist: Die Leute glauben nicht mehr an Gott!", sagte der Psychiater und katholische Theologe der Zeitschrift "Herder Korrespondenz" (März-Ausgabe). Er kenne niemanden, "der sich zur Regelung seines Sexualtriebs erst mal an die katholische Kirche wendet".
Kirche nicht sexualfeindlich
Nach Lütz Einschätzung ist es "ein Mythos", dass die katholische Kirche sexualfeindlich ist. Erst im 19. Jahrhundert hätten sich die Katholiken an einen "leibfeindlichen protestantisch-bürgerlichen Zeitgeist angepasst". Im 20. Jahrhundert habe die Enzyklika zur Fortpflanzung, "Humanae Vitae", zu einer "katholischen Identitätskrise" geführt, weil sie dafür gesorgt habe, dass die katholische Kirche "öffentlich als sexualfixiert" wahrgenommen worden sei. "In Wahrheit ist die katholische Kirche aber keine Moralanstalt, sie ist eine Gemeinschaft von Menschen, die an die Menschwerdung eines liebenden Gottes glauben", sagte Lütz, der Mitglied im Päpstlichen Rat für Laien und der Päpstlichen Akademie für das Leben ist.
Abtreibung und Kondome
Diese Haltung vertrete auch Papst Franziskus, der in drei Jahren noch nichts über Kondome gesagt habe, sagte Lütz. Er sei sich sicher, dass Franziskus die Haltung der Kirche zu Abtreibungen und zum Frauenpriestertum nicht ändern werde. Aber Papst Franziskus lenke, wie schon Papst Benedikt XVI., den Blick auf das Wesentliche des christlichen Glaubens, sagte Lütz: "Auf den Glauben an den menschgewordenen Gott, an einen Gott, der die Liebe ist, der barmherzig ist."
Lütz ist Chefarzt und Psychiater am Kölner Alexianer-Krankenhaus und hat mehrere Bücher verfasst, unter anderem "Der blockierte Riese. Psychoanalyse der katholischen Kirche", "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten" und mit Paul Josef Cordes "Benedikts Vermächtnis und Franziskus' Auftrag: Entweltlichung. Eine Streitschrift".