Psychologe findet Urteil zu KZ-Sekretärin bedeutsam

"Für die psychische Verarbeitung wichtig"

Es ist einer der letzten KZ-Prozesse vor einem deutschen Gericht. Es geht um die Frage, ob die Schreibtischarbeit einer Sekretärin Beihilfe zum tausendfachen Mord sein kann? Im Fokus steht eine heute 99-jährige Frau.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat an diesem Dienstag seine Entscheidung im Verfahren um eine 99-jährige Frau, die bis April 1945 im KZ Stutthof bei Danzig als Sekretärin tätig war, verkündet. Sie war Ende 2022 zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren wegen Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen verurteilt worden und hatte Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts Itzehoe gegen die ehemalige Sekretärin des NS-Konzentrationslagers Stutthof nun bestätigt.

Der Psychologe Wolfgang Hegener sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin, die Entscheidung sei auch nahezu 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus noch von großer Bedeutung, "nicht nur für die Opfer, sondern auch für die Täter und ihre Nachkommen".

"Schuld verjährt nicht"

Das Urteil habe eine "übergreifende gesellschaftspolitisch wichtige Funktion und ist für die psychische Verarbeitung und Annahme von Schuld und Verantwortung entscheidend wichtig", so Hegener. 

"Die Schuld, um die es hier geht, verjährt nicht, sie ist nicht delegierbar und darf nicht relativiert werden. Dies ist von großer Bedeutung für eine Gesellschaft und Kultur, in der es Instanzen gibt, die dabei helfen, die anhaltende Projektion von Schuld und Verantwortung zu durchbrechen." Der Fall gilt als einer der letzten KZ-Prozesse vor einem deutschen Gericht.

"Rechte Hand' des Vernichtungsgeschehens"

Auch wenn die vom Landgericht Itzehohe in erster Instanz verurteilte Sekretärin nicht an einer unmittelbaren Durchführung der Morde beteiligt war, "so war sie doch als 'rechte Hand' des Kommandeurs konstitutiver Bestandteil des eliminatorischen Vernichtungsgeschehens". 

Ehemaliges Konzentrationslager Stutthof  / ©  Bernhard Sprengel (dpa)
Ehemaliges Konzentrationslager Stutthof / © Bernhard Sprengel ( dpa )

Die Schoah sei überhaupt nur als ein arbeitsteiliger Prozess möglich gewesen, so Hegener, der als Privatdozent für Psychoanalytische Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt. "Vor allem kann und muss man davon ausgehen, dass die Sekretärin mit den Morden, deren Zeuge sie tagtäglich wurde, mindestens einverstanden gewesen ist. Sie wusste, wozu das Giftgas Zyklon B, das sie bestellt hat, eingesetzt wurde." Dieses Wissen habe sie nicht daran gehindert, ihre Arbeit fortzusetzen.

Der Holocaust: systematischer Völkermord an sechs Millionen Menschen

Holocaust ist die nahezu weltweit gebräuchliche Bezeichnung für den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung Europas durch die Nationalsozialisten. Ihm fielen etwa sechs Millionen Menschen zum Opfer. In Polen wurden rund 90 Prozent der Menschen jüdischen Glaubens umgebracht, in anderen europäischen Ländern wie in Ungarn oder den Niederlanden mehr als 70 Prozent. Der Begriff Holocaust stammt vom griechischen Wort "holokauston" und bedeutet Brandopfer (wörtlich: "ganz verbrannt").

Zaun in Auschwitz-Birkenau / © Markus Nowak (KNA)
Zaun in Auschwitz-Birkenau / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
KNA